Zum Hauptinhalt springen

80 Jahre nach der Befreiung des Konzentrationslagers Bergen-Belsen sind noch einmal mehr als 50 Überlebende zu einer Gedenkfeier gekommen. Einige von ihnen waren während ihrer Haft noch so jung, dass sie keine eigenen Erinnerungen haben.

Von Karen Miether (epd)

Bergen-Belsen (epd). Greet und Robert Coopman sitzen nebeneinander, inmitten weiterer Überlebenden des Konzentrationslagers Bergen-Belsen. 80 Jahre nach der Befreiung sind sie noch einmal an den Ort gekommen, in dem sie schon als Kinder waren. Greet Coopman tritt bei der Gedenkfeier an das Mikrofon vor der Inschriftenwand, die an die Opfer des Lagers erinnert, eine 82-jährige Frau, weißhaarig und elegant gekleidet. Sie erzählt, wie sie und ihr heutiger Mann im September 1944 aus dem Durchgangslager Westerbork in den Niederlanden nach Bergen-Belsen deportiert wurden. Greet Troostwijk, so hieß sie damals, war noch keine zwei Jahre alt und Waise. «Aber ich überlebte», sagt sie auf Englisch.

Das Paar aus Israel gehört zu den mehr als 50 Überlebenden, die noch zu der Gedenkveranstaltung auf dem Gelände der Gedenkstätte Bergen-Belsen gekommen sind. In dem früheren KZ Bergen-Belsen waren etwa 3.500 Kinder unter 15 Jahren inhaftiert, darum gibt es noch vergleichsweise viele Zeitzeugen. Zu ihnen zählen sich auch die Coopmans, obwohl sie keine eigenen Erinnerungen an die Zeit im Lager haben. «Unsere Geschichte ist zweifellos eine Geschichte des Überlebens und des Versuchs, nicht nur für unsere Familie, sondern auch für zukünftige Generationen ein Vorbild zu sein», sagt sie.

Diesen Einsatz würdigen Rednerinnen und Redner der Gedenkveranstaltung. Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) stellt in seiner Begrüßung abweichend vom Protokoll nicht die staatlichen Repräsentanten, sondern die Überlebenden an erste Stelle: «Wir sind Ihnen unendlich dankbar, dass Sie trotz Ihres hohen Alters, trotz aller Beschwerlichkeiten und trotz der furchtbaren Erinnerungen die Strapazen einer langen Reise auf sich genommen haben.» Der israelische Botschafter Ron Prosor bittet später, Albrecht Weinberg sich zu erheben. Mühsam und unter Applaus richtet sich dieser aus seinem Rollstuhl auf. Der in Leer lebende Überlebende ist in diesem Jahr 100 Jahre alt geworden.

Mit dem zeitlichen Abstand zur Befreiung der Konzentrationslager schwindet das Wissen um die Gräueltaten des Nationalsozialismus, darauf machen in Bergen-Belsen viele Rednerinnen und Redner aufmerksam. Auch deshalb gelte es, das Vermächtnis der Zeitzeugen zu bewahren. Für die israelische Fotografin Debbie Morag gehört ein solches Vermächtnis zu ihrem Leben dazu. Sie kam als Kind von Überlebenden im «Displaced Persons Camp» ganz in der Nähe des KZ Bergen-Belsen auf die Welt. Dort mussten nach der Befreiung am 15. April 1945 noch bis 1950 KZ-Überlebende ausharren, bevor ihnen eine Auswanderung aus dem Land der Täter gelang. Das Camp wurde für sie auch zu einem Ort des Neuanfangs.

«Ich sage oft, dass ich den Holocaust mit der Muttermilch eingesogen habe - so tief ist er mit meiner Person verbunden», sagt Morag in ihrer Rede. «Auch heute ist die Welt voller vertriebener Menschen, voller Flüchtender, die Würde suchen, voller Opfer von Intoleranz», fügt sie hinzu. «Vielleicht fühlen diejenigen von uns, die in der Folge des Holocaust geboren wurden, stärker als andere - denn wir wurden inmitten der Geister geboren, und wir wuchsen mit Widerstand auf.»

Greet und Robert Coopmans Geschichte macht den Rassenwahn der Nazis in besonderer Weise deutlich. Beide gehörten zu einer Gruppe von 51 Mädchen und Jungen aus den Niederlanden, die damals «unbekannte Kinder» genannt wurden. Um ihnen das Leben zu retten, hatten ihre jüdischen Eltern sie versteckt, zumeist bei Pflegefamilien. Doch viele wurden verraten. Dass sie am Leben blieben, führen Experten auch darauf zurück, dass ihre Pflegeeltern und Beschützer gezielt Zweifel an ihrer jüdischen Herkunft streuten.

Robert Coopman wusste lange Zeit nicht einmal, dass auch er zu den «unbekannten Kindern» gehörte. Erst Recherchen anderer brachten es viel später an den Tag, wie seine Frau erzählt: «Im Jahr 2002, nach 37 Jahren Ehe, wurde klar, dass mein Mann und ich, ohne es zu wissen, im selben Transport nach Bergen-Belsen per Zug waren», sagte sie. Die Zuhörenden lachen, als sie hinzufügt: «Dieses Szenario wäre ein gutes Drehbuch für eine 'Liebesgeschichte à la Hollywood' gewesen.»

Doch Greet Coopman erinnert auch an ihre Eltern und den erst acht Monate alten Bruder, die in Auschwitz ermordet wurden. «80 Jahre nach der Befreiung Bergen-Belsens gedenken wir derer, die von uns gegangen sind», sagt sie und betont, es sei wichtig, Lektionen der Vergangenheit zu lernen. «Um dem Leben eine lebenswerte Chance zu geben.»

Internet
Dokumentation zu den «unbekannten Kindern» auf YouTube:
http://u.epd.de/3cyk 
www.bergen-belsen.de