Düsseldorf/Braunschweig (epd). "Karneval und Rosenmontagszug gehören zum Rheinland wie Martin Luther zur Reformation", sagt der Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland, Manfred Rekowski. "Da liegt es nahe, ganz im Sinne Luthers dem Volk nicht nur aufs Maul, sondern auch aufs Brauchtum zu schauen." Entsprechend mischen die Protestanten im diesjährigen Straßenkarneval kräftig mit und feiern selbstbewusst und zugleich selbstironisch den Beginn der reformatorischen Umwälzungen vor 500 Jahren.
Im Zentrum steht dabei naturgemäß der Reformator Martin Luther (1483-1546), der teils als überlebensgroße Figur im Rosenmontagszug mitfährt. In Mainz hält ein 3,40 Meter hoher Styropor-Luther anstelle der 95 Thesen "Weck, Worscht un Woi" (Brötchen, Fleischwurst und Wein) in der Hand und wird von einem Posaunenchor begleitet, der eine Fastnachts-Version des Luther-Chorals "Ein feste Burg ist unser Gott" spielt. "Wenn die Leute merken, dass die Evangelischen auch über sich selbst lachen können, dann haben wir schon viel erreicht", sagte der Mainzer Dekan Andreas Klodt.
Auf einem Mottowagen in Braunschweig schneidet Luther mit einer riesigen Schere die Fäden einer Marionette durch, um die Menschen seiner Zeit symbolisch von ihren Ängsten vor dem Tod und dem Ablasshandel zu befreien. Als Kamelle werden "Lutherbonbons" geworfen - wie auch in Mainz, wo die Karnevalisten zudem Playmobil-Lutherfiguren an Kinder verteilen.
In Düsseldorf fährt die evangelische Kirche erstmals mit einem eigenen Wagen im Rosenmontagszug mit. Er ist in zwei Fußgruppen eingebettet und wurde vom wohl bekanntesten Wagenbau-Künstler in Deutschland, Jacques Tilly, gestaltet - Details werden noch geheim gehalten. Sicher ist bereits, dass vom Wagen aus auch Präses Rekowski Kamelle aufs närrische Volk regnen lässt. Er will "fröhlich präsentieren, warum wir Protestanten 'vergnügt, erlöst, befreit' sind, wie es im Motto der Evangelischen Kirche im Rheinland zum Jubiläumsjahr der Reformation heißt".
Auch an zahlreichen anderen Orten in Deutschland würdigen Karnevalisten das 500. Reformationsjubiläum. So stellte die Gemeinschaft Erfurter Karneval die Session unter das an Luther angelehnte Motto "Warum lachet und feiert ihr nicht?". In Bad Liebenstein im Wartburgkreis wird ein zünftiges Mittelalter-Spektakel unter dem deftigen Luther-Zitat "Aus einem trüben Arsch kam noch nie ein fröhlicher Furz" gefeiert.
Die heutige unbeschwerte Verbindung von Karneval und Reformation ist alles andere als selbstverständlich. Jahrhundertelang hätten die Protestanten dem Karnevalstreiben getrotzt, schreiben die Theologen Detlev Prößdorf und Harald Schroeter-Wittke in einem 2002 erschienenen Buch "Rheinische Karnevalstheologie": Die Reformatoren setzten auf geistliche Neubesinnung und auf die Beseitigung von Missständen, die kirchlichen Fastengebote für die Zeit ab Aschermittwoch wurden als reine Äußerlichkeiten skeptisch beurteilt.
Das galt erst recht für die Ausschweifungen der ausgelassenen Karnevalsfeiern, in denen die Menschen vor der fleischlosen Fastenzeit noch einmal richtig Spaß haben wollten mit Narrenfesten, Schlemmen, Musik, Tanz und Schauspiel. "Doch seit einigen Jahren befällt der Virus des rheinischen Frohsinns auch zunehmend die evangelische Existenz", stellen Prößdorf und Schroeter-Wittke fest. So gibt es in Köln seit 1997 eine protestantische Karnevalssitzung, und in einer Reihe von Kirchengemeinden werden an den "tollen Tagen" spezielle Karnevalsgottesdienste gefeiert - mit Verkleidung, Tanz, Sketchen und gereimter Predigt.
Immer wieder aufgegriffen werden im diesjährigen Karneval die berühmten 95 Thesen Luthers. So steht auf einem Karnevalsorden im hessischen Seligenstadt: "1517-2017. Für Luthers Thesen ist es Zeit gewesen. Helau". Auf dem Braunschweiger Motivwagen zu den Reformationsthesen prangen fünf "Thesen der Gegenwart". Eine davon versinnbildlicht das heutige entspannte Verhältnis der Protestanten zum Karneval: "Endlich frei für Narretei."