Sie haben ihre persönlichen Erfahrungen mit Rassismus gemacht: Bundesweit haben sich Migranten organisiert, um ein Einwanderungsland zu gestalten, das ihnen faire Teilhabechancen bietet. Und auch Schutz vor rechtem Terror.
Osnabrück (epd). Stundenlang standen drei Männer vor dem Vereinsbüro von Tutmonde in Stralsund, fotografierten Briefkasten und Fenster. Kurz darauf verletzte ein Mann eine Mitarbeiterin der Migrantenorganisation mit einem Fußtritt. «Ich wurde auf dem Weg zum Auto verfolgt und bedrängt», erzählt Tutmonde-Vorständin Jana Michael von dem Vorfall Ende Januar. Seither macht sie sich auf die Suche nach neuen Räumen.
Es war nicht die erste Drohung von rechts. Vor einigen Jahren explodierte der Briefkasten des Vereins, in dem sich Migrantinnen insbesondere für geflüchtete Frauen engagieren. Und auch Zuhause hatte Michael schon unerwünschten Besuch. «Wir werden ständig mit Rassismus konfrontiert», sagt sie. Frauen mit Kopftuch würden bespuckt, angepöbelt, in Läden nicht bedient. «Weisen wir öffentlich darauf hin, wird das kleingeredet - und wir als Organisation dafür gehasst, dass wir so unbequem sind.»
Die Stralsunderinnen sind Teil eines bundesweiten Netzwerks: In 33 Städten haben sich rund 700 Initiativen und Vereine von Menschen mit Migrationshintergrund im Projekt samo.fa vernetzt. Samo.fa steht für «Stärkung der Aktiven aus Migrantenorganisationen in der Flüchtlingsarbeit». Träger des von der Bundesregierung finanzierten Projekts ist der Bundesverband Netzwerke von Migrantenorganisationen (BV NeMO). In den Projektstädten arbeiten Hauptamtliche zusammen mit Ehrenamtlichen an besseren Teilhabechancen für Geflüchtete auf dem Arbeitsmarkt, im Bildungs- und Gesundheitssystem - und immer wieder am Umgang mit Rassismus.
Denn: Flüchtlingshelfer werden regelmäßig angefeindet. «Für Menschen mit Migrationsgeschichte ist das leider sowieso Alltag», sagt BV NeMO-Vorsitzender Ümit Kosan. Der Anschlag von Hanau stelle nicht erst seit dem NSU, Chemnitz und Halle eine Kontinuität rechter Gewalt da, schreibt der Verband. Er kritisiert, dass Rassismus verharmlost und nicht aufgearbeitet werde. «Es ist an der Zeit, den Betroffenen zuzuhören und sie vor dem Terror zu schützen.»
In diesen Zeiten sei die Vernetzung unterschiedlicher Migrantenorganisationen und das Einstehen für gemeinsame Ziele noch wichtiger. «Zusammen können wir nicht so leicht überhört werden», sagt Kosan, der den BV NeMO 2015 als ersten herkunftsübergreifenden Verband von Migrantenorganisationen gegründet hat.
Aus samo.fa sind mittlerweile Vereine von Geflüchteten entstanden, die sich nun selbst ehrenamtlich in Deutschland als ihrer neuen Heimat engagieren. «Die gleichberechtigte Teilhabe aller Bewohner des Landes ist der Schlüssel zum friedlichen Zusammenleben», sagt Kosan. Wer mitbestimmen könne, fühle sich zugehörig und bringe sich ein. «Wir Engagierten im Netzwerk arbeiten an den vielen Herausforderungen, die eine Einwanderungsgesellschaft mit sich bringt.» Von der Politik erwarte er die Anerkennung dieses zivilgesellschaftlichen Engagements, aber auch Schutz, erklärt Kosan.
Zusammenschlüsse von Gruppen verschiedener Communities könnten durchaus gegen den erstarkenden Rechtsextremismus wirken, findet der Osnabrücker Soziologe Aladin El-Mafaalani. Denn: «Sie bündeln verschiedene Perspektiven und zeigen aus der Mitte heraus, wie und dass Zusammenhalt funktioniert.»
Vor allem hilft Vernetzung aber den Betroffenen, sagt Ümit Kosan. «Sie sind nicht allein mit ihrem Problem, das bestärkt.» Die Netzwerke vor Ort könnten systematische Missstände besser in der lokalen Politik zum Thema machen als Einzelne - seien es Diskriminierungen auf dem Wohnungsmarkt und bei Behörden oder eine Häufung rechtsextremer Gewalt in bestimmten Stadtteilen.
Das will auch Jana Michael in Stralsund weiter tun. 2020 will sich samo.fa Stralsund besonders für die interkulturelle Öffnung von Pflegeeinrichtungen einsetzen. «Wir lassen uns nicht entmutigen.»