Hannover (epd). Die sogenannte Flüchtlingskrise ist nach Ansicht des Migrationsforschers Klaus J. Bade auch zu einer Existenzkrise der Europäischen Union geworden. «Sie enthüllte, dass es in der Europäischen Union weniger um eine Wertegemeinschaft, sondern mehr um eine Interessengemeinschaft und letztlich um eine Verteidigungsgemeinschaft geht», schreibt der emeritierte Professor für Neueste Geschichte an der Universität Osnabrück in einem Gastbeitrag der Wochenendbeilage der «Hannoverschen Allgemeinen Zeitung».
Noch immer blieben die Fluchtwanderungen aus Krisengebieten zum allergrößten Teil in den Regionen um die Herkunftsländer. «In deutlich geringerem, aber steigendem Umfang treibt oder lockt die Krise Menschen als Flüchtlinge und als Wirtschaftswanderer, oft als beides zugleich, auch vor die zunehmend geschlossenen Toren der Festung Europa», schreibt Bade. «Dort dämmert vielen die späte Einsicht, dass die Weltgesellschaft bis vor die eigenen Türen reicht.»
Nach Ansicht des Wissenschaftlers ist dies keineswegs unerwartet gekommen, sondern längst absehbar gewesen. Demografische, soziale, ökonomische, ökologische und klimatische Ursachen, trieben Menschen in die Flucht. Hinzu kämen Kriege und Bürgerkriege sowie die «oft krisenverschärfenden» westlichen Interventionen.
Die Ursachen der globalen Krise lägen tief und forderten Systemfragen heraus, so Bade. Es handle sich um die Auswüchse eines wild gewordenen Profitsystems, «das angeblich humanitäre Attitüden erst entdeckt, wenn die Folgen des eigenen Fehlverhaltens die Geschäftsinteressen oder doch das Image zu schädigen tendieren». «Nicht Abwehr, sondern Partnerschaft bietet Wege in eine gemeinsame weltgesellschaftliche Zukunft», schreibt Bade. Der von Bundesentwicklungsminister Gerd Müller (CSU) vorgelegte «Marshallplan mit Afrika» greife zu kurz, weise aber in die richtige Richtung.
epd