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Hannover (epd). Vorsichtig pustet die achtjährige Ceylan in ein kleines Plastikrohr, so dass gelbe Farbsprenkler aus der Vorderseite spritzen. Das ausgeblasene Hühnerei, das sie an einem Holzspieß in der linken Hand hält, färbt sich langsam gelb. Doch Ceylan verziert die Eier nicht etwa für das Osterfest in wenigen Tagen. Sie ist Jesidin, ihre Eltern kamen vor einigen Jahren aus Syrien nach Deutschland: «Wir bemalen die Eier für das jesidische Neujahrsfest.»

   Das Neujahrsfest zählt zu den wichtigsten Feiertagen in der jesidischen Religion und wird jedes Jahr Mitte April gefeiert, erläutert Hatab Omar von der Ezidischen Akademie in Hannover. In diesem Jahr ist es der 15. Immer fällt das Fest daher in die Nähe des christlichen Osterfestes.

   Nach jesidischem Glauben soll Gott an diesem Tag dem obersten Engel Tausi-Melek beauftragt haben, die Erde zu erschaffen und sie für Menschen, Tiere und Pflanzen bewohnbar zu machen. «Mit dem Fest erinnern wir an unseren Ursprung», sagt Omar. Die Jesiden verabschiedeten so das vergangene Jahr und begrüßten das neue. Außerdem sei das Neujahrsfest ein Frühlings- und Fruchtbarkeitsfest. Jesiden ehrten damit den heiligen Monat April, den sie auch die «Braut des Jahres» nennen.

   An Neujahr schmücken Jesiden ihre Häuser mit Blumen und Zweigen. Sie feiern zusammen mit Verwandten und Freunden und besuchen die Gräber ihrer verstorbenen Angehörigen auf dem Friedhof. Sie verschenken geflochtene Armbänder, die Glück bringen sollen, und essen selbst gebackene Kekse. Auch bunt gefärbte Eier gehören traditionell zu dem Fest.

   Ceylan und ihre Familie und auch ihre Freunde färben jedes Jahr Eier. Die meisten liegen in einem Korb im Wohnzimmer und werden am Neujahrsfest aufgegessen, erzählt das Mädchen. Ausgepustete Eier hängen sie an Sträucher und Zweige.

   Die Eier sollen die Erde symbolisieren oder viel eher an die Form der sogenannten «Urperle» erinnern, aus der die Erde nach dem jesidischen Glauben entstanden ist, erläutert Omar. «Durch das Bemalen der Eier unterstreichen wir die Schönheit der Erde.» Der Brauch, die Eier zu färben, sei schon so alt wie die Religion der Jesiden. Vor rund 4.000 Jahren soll die Glaubensrichtung im Gebiet des heutigen Armeniens und Kurdistans entstanden sein.

   Omar erinnert sich an den Brauch in seinem syrischen Heimatort, die kaputte Eierschale über den Hauseingang zu befestigen. In anderen Regionen wird die Eierschale ins Gemüsebeet geworfen. So soll die Fruchtbarkeit gefördert werden, sagt Omar.

   Bei der Gestaltung und den Farben gibt es keine Einschränkungen, doch Eier werden besonders oft Rot, Gelb und Grün gefärbt. Das sind die Farben des Jesidentums.

   Auch vor Ceylan liegt auf dem farbverschmierten Basteltisch ein Ei in den traditionellen Farben. Sie merkt sie sich an der kurdischen Flagge, die von oben nach unten Rot, Weiß und Grün in sich trägt. Und dafür hat sie eine einfache Eselsbrücke: «Fast wie die Flagge von Italien - nur mit einer gelben Sonne dazu.»

Katharina Hamel/epd