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Hannover (epd). Eine deutliche Mehrzahl der Protestanten und Katholiken in Deutschland wünscht sich nach Angaben des Theologen und Sozialwissenschaftlers Georg Lämmlin «eine Kirche, deren Engagement über die Pflege religiöser Innerlichkeit hinausgeht». Die 2023 veröffentlichte 6. Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) spreche diesbezüglich eine klare Sprache, sagte der Direktor des Sozialwissenschaftlichen Instituts der EKD im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd). «Das allerdings heißt nicht automatisch, dass die Gläubigen eine im engen Sinn politische Kirche wollen», betonte Lämmlin mit Blick auf die zuletzt von Bundestagspräsidentin Julia Klöckner (CDU) befeuerte Debatte um eine kirchliche Positionierung zu tagespolitischen Fragen.

Sofern politische Themen «christliche Grundfragen berühren oder Teil der kirchlichen DNA» seien, sei die Akzeptanz für entsprechende öffentliche Stellungnahmen unter Kirchenmitgliedern hoch. «Deutlich sehen wir das etwa beim Thema Flucht, Migration und Asyl», erläuterte Lämmlin. Laut EKD-Studie sind mehr als zwei Drittel aller Kirchenmitglieder - unter den hochverbundenen Katholiken sind es sogar 80 Prozent - für ein konsequentes Engagement der Kirche für Geflüchtete.

Auch bei sozialen Fragen deute vieles darauf hin, dass eine klare Mehrheit der Kirchenmitglieder eine Positionierung der Kirche in sozialpolitischen Debatten begrüßen würde. «Das sehen wir etwa an der fast 100-prozentigen Zustimmung zum kirchlichen Engagement in der Lebens- und Sozialberatung», führte Lämmlin aus.

Entscheidend sei, dass politische Stellungnahmen der Kirchen stets «durch die eigene Praxis gedeckt» seien. «Themenfelder wie eben Migration, Soziales und auch Klimaschutz kann Kirche glaubwürdig in den politischen Diskursen vertreten, weil sie dort hohes Engagement und eindeutige Positionen zeigt», sagte Lämmlin. Wichtig sei allerdings auch, dass öffentliche Stellungnahmen der Kirchen klar unterscheidbar von parteipolitischen Debatten blieben: «Die Kirchen können nicht die Aufgabe haben, auf parlamentarische Aushandlungsprozesse oder die konkrete politische Umsetzung bestimmter Themen Einfluss zu nehmen», unterstrich der Theologe.

Bei Themen, bei denen die Kirche keine eindeutige Position habe, müsse sie Ambivalenzen oder konträre Stimmen transportieren, um in der Öffentlichkeit als glaubwürdig wahrgenommen zu werden, sagte Lämmlin. Beispielhaft nannte er die kirchliche Friedensethik, in der es gelte, «die nicht auflösbare Spannung zwischen 'realpazifistischen' und 'radikalpazifistischen' Stimmen» hinreichend deutlich werden zu lassen.

In den vergangenen Monaten war Kritik an kirchlichen Äußerungen zu aktuellen Themen laut geworden. So wurde eine Stellungnahme der Bevollmächtigten des Rates der EKD, Anne Gidion, und des katholischen Prälaten Karl Jüsten zu migrationspolitischen Plänen der Unionsfraktion im Bundestag wiederholt als unzulässige Einmischung in die Tagespolitik kritisiert. Zuletzt hatte Bundestagspräsidentin Julia Klöckner (CDU) die Erwartung geäußert, Kirchen sollten «mehr Sinnstiftung» und weniger Stellungnahmen zu tagesaktuellen Themen bieten.