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Als sie erfuhr, dass sie an einer Demenz erkrankt ist, stürzte Helga Rohra in eine tiefe Depression. Doch das ist lange vorbei. Mittlerweile engagiert sich die heute 62-Jährige national und international für die Rechte der Betroffenen.

Worpswede (epd). Der Blick entschlossen, die Stimme fest: Wer Helga Rohra auf einer ihrer vielen Vortragsreisen begegnet, kommt im ersten Moment nicht darauf, dass die 62-Jährige an einer Demenz erkrankt ist. Sie hat ein Buch geschrieben, das für sie Programm ist und aus dem sie an diesem Donnerstag in Worpswede bei Bremen lesen will. «Aus dem Schatten treten» lautet der Titel, mit dem sie darum wirbt, dass demenzkranke Menschen nicht an ihren Defiziten gemessen werden, sondern an dem, was sie können. «Wir müssen uns auf Augenhöhe begegnen», fordert Rohra.

Bevor die Münchnerin vor acht Jahren die für sie zunächst niederschmetternde Diagnose bekam, war sie freiberuflich als Übersetzerin tätig. Plötzlich konnte sie sich nicht mehr erinnern, was sie gerade gedolmetscht hat. Sie wusste nicht mehr, wie der Computer gestartet wird, die Orientierung fiel ihr schwer. «Zuerst dachte ich, ich hätte zu viel Stress im Beruf», erinnert sie sich. Auch ihr Arzt sprach von einem Burn-out und riet ihr zu ausgedehnten Spaziergängen an frischer Luft. «Als dann die Diagnose kam, fiel ich in ein tiefes Loch.»

Der Neurologe stellte bei ihr eine Levy-Body-Demenz fest, eine seltene Form der heimtückischen Krankheit, die meist mit Parkinson verbunden ist. Von diesem Zeitpunkt an nahm sie insbesondere bei den Behörden keiner mehr ernst. Beratungsgespräche wurden gar nicht erst geführt. «Das war auf dem Amt bei den Sachbearbeitern wie ein Stempel: Ich bin nicht mehr zurechnungsfähig.» Demenz bedeutet Alzheimer, ein hilfloser und verwirrter Mensch, schwerste Pflegebedürftigkeit - das schlug Rohra entgegen. «Dabei können wir Frühbetroffenen noch ganz viel. Das Leben ist mit der Diagnose ja nicht zu Ende.»

Aber es wird schwerer. «Alles wird auf den Kopf gestellt», bilanziert Rohra. Sie stürzte erst in eine Depression, verlor ihre Arbeit, wurde verrentet. Mit Unterstützung ihrer Ärzte und einer Gesprächsgruppe lernte sie, ihre Krankheit zu akzeptieren, was vielen der schätzungsweise 1,5 Millionen Demenzkranken in Deutschland nicht gelingt.

Anfang 2010 sprach sie zunächst unter dem Pseudonym Helen Merlin über ihre Demenz. Nun redet sie ganz offen über das Thema. Das ist ihre Form, gegen die Krankheit und für diejenigen zu kämpfen, die auch betroffen sind. «Der liebe Gott hat mir eine Mission gegeben», sagt die Frau, die Kraft auch aus ihrem Glauben zieht. Man dürfe sich eben nicht verkriechen, rät sie. Lesungen wie in Worpswede oder große Konferenzen sind ihr wichtig. «Da merke ich: Ich darf etwas sagen, ich habe eine Aufgabe, mein Leben hat Sinn. Das tut mir gut.»

Rohra ist Mitbegründerin der «European Working Group of People with Dementia». Als Vorsitzende sprach sie auf vielen Konferenzen. Für ihren Einsatz bekam sie kürzlich den Deutschen Engagementpreis. «Die Diagnose war für mich der Anfang eines neuen Lebens», sagt die Frau, auf deren Visitenkarte «Demenzaktivistin» steht.

Heute, sagt sie, geht es ihr besser als noch vor einigen Jahren.
Auch wenn sie sich für den Supermarkt einen Zettel mit aufgeklebten Prospektbildern der Dinge zurechtschneidet, die sie einkaufen will. Auch wenn ihr Sohn ihr immer genaue Karten mitgibt, wenn sie wieder eine Reise antritt. «Frühbetroffene brauchen eine Chance auf Integration. Demenz ist doch nichts anderes als eine Behinderung, die man nicht sieht», sagt die resolute Frau.

Angehörige, die unterstützen und nicht entmündigen; hilfreiche Nachbarn; Menschen, die aktivieren; Wissen um die Krankheit bei Ärzten und Ämtern - das ist es, was Rohra zufolge die Betroffenen brauchen. Und Hilfen zur Teilhabe, etwa über einen Assistenten, den die öffentliche Hand finanziert.

Das größte Missverständnis sei doch, dass fast nur Defizite und nicht die Fähigkeiten gesehen würden. Doch Ressourcen habe jeder, auch in der letzten Phase der Krankheit. Rohra hat dafür mit entsprechenden Vollmachten vorgesorgt. Doch bis dahin, so hofft sie, sind es noch viele Jahre, die sie gestalten will. «Und ich möchte noch möglichst lange in meiner Wohnung bleiben.»