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Hannover/Osnabrück (epd). Die tropische Schmetterlingsart Heliconius ist ein Vorbild für Gemeinschaft. Die Tiere kommen spätnachmittags zu kleinen Gruppen zusammen und verbringen Forschern zufolge so die Zeit bis zum frühen Morgen - auch, um Fressfeinde abzuschrecken. Unter dem Motto «Komm rüber! Sieben Wochen ohne Alleingänge» steht auch die diesjährige Fastenaktion der evangelischen Kirche. Die Initiative zwischen Aschermittwoch (14. Februar) und Ostern (31. März) wirbt dafür, bewusst Gemeinschaft zu leben.

 

 

 

«Wir brauchen den Blick, das Ohr, die Hand der anderen», erklärt der hannoversche Landesbischof Ralf Meister, Botschafter der Fastenaktion. Eröffnet wird sie am 18. Februar mit einem ZDF-Fernsehgottesdienst in der Osnabrücker Kirche St. Katharinen.

 

 

 

«Unabhängigkeit bedeutet nicht immer die große Freiheit», schreibt Meister im Begleitheft von «7 Wochen Ohne». Alleinsein schaffe zwar Geistesblitze, so gehe er selbst gern allein spazieren. Zum Tragen kämen Ideen aber nur durch die Resonanz anderer. Bei der Fastenaktion soll es daher um die Kraft des Miteinander gehen. Dabei fällt der Blick nicht nur auf Beziehungen zu Partnern, Freunden und der Familie, sondern auch auf das Miteinander mit Menschen, die anderer Meinung sind.

 

 

 

Pfarrer Christian Engels ruft im Begleitheft dazu auf, gegenüber Andersdenkenden dem ersten Instinkt der Gegenrede zu widerstehen. Auch vermeintlichen Widersachern sollten die Teilnehmer bewusst «Komm rüber!» zurufen, erklärt der Leiter des Filmkulturellen Zentrums der Evangelischen Kirche in Deutschland.

 

 

 

Laut dem Einsamkeitsforscher Marcus Mund kann der Diskurs mit Menschen, die eine andere Meinung haben, ein Abdriften in Filterblasen und Echokammern verhindern: «Eine offene Gesellschaft kann extreme Meinungen besser auffangen», sagte der Wissenschaftler vom Institut für Psychologie an der Universität Klagenfurt dem Evangelischen Pressedienst (epd).

 

 

 

Mund zufolge geht das Gefühl von Einsamkeit oftmals mit dem Nicht-Wählen oder mit dem Wählen von Parteien mit extremen politischen Ansichten einher. «Das Gefühl, von anderen abgekoppelt zu sein und keine Anknüpfungspunkte zu haben, wird verstärkt, wenn alles immer abgetan wird.»

 

 

 

Menschen benötigten das Miteinander, um sich eingebunden und bestätigt zu fühlen. «Allein können wir nicht überleben und brauchen zumindest punktuell Unterstützung von anderen.»

 

 

 

Einsamkeit kann auch krank machen. Sie begünstigt Studien zufolge Herz-Kreislauf-Erkrankungen, depressive Erkrankungen sowie Alkohol- und Tabakkonsum. Langandauernde Einsamkeit sei genauso schädlich wie der Konsum von 15 Zigaretten am Tag, erklären die Psychologen Julianne Holt-Lunstad und ihr Kollege Timothy Smith von der Brigham Young University im US-Bundesstaat Utah im Fachmagazin «PLoS Medicine».

 

 

 

Mund zufolge wird das Bedürfnis nach Gemeinschaft in der psychologischen Literatur als Grundbedürfnis diskutiert. Es sei in etwa gleichzusetzen mit Hunger und Durst. Nicht jeder Mensch sei jedoch in der Lage, dieses Bedürfnis selbst zu stillen. Vor allem introvertierte, schüchterne Menschen, die zudem einen geringen Selbstwert hätten, neigten zu Einsamkeit.

 

 

 

Manche fühlten sich, so Mund, in Gesellschaft teilweise sogar einsamer als allein. Sie bräuchten geschützte, immer wiederkehrende Gruppen, um sich wohlzufühlen. Weil es schüchternen und einsamen Menschen schwerfalle, auf andere zuzugehen, sei es «wichtig, Personen Gesprächsangebote zu machen, von denen wir den Eindruck haben, dass sie einsam sind», betont Mund.

 

 

 

Anders als den Heliconius-Schmetterling, dessen Verhalten Forschende der University of California untersuchten, schützt die Gemeinschaft den Menschen nicht nur vor Angriffen und Einsamkeit. Miteinander macht auch einfach vieles mehr Spaß: Gemeinschaft habe einen «befreienden und erheiternden Charakter», schreibt der Philosoph und Soziologe Georg Simmel (1858-1918) in seinem Werk «Grundfragen der Soziologie: Individuum und Gesellschaft». Im geselligen Zusammensein würden die Aufgaben und die Schwere des Lebens «in gleichsam artistischem Spiel genossen».