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Hude/Kr. Oldenburg (Jörg Nielsen, epd). Mit einer ruhigen Handbewegung klebt Restaurator Karl-Heinz Weingärtner dem Folterer von Jesus eine winzig kleine Zunge in den Mund. «Der streckt ihm fies die Zunge raus», sagt der Experte und lehnt sich zufrieden zurück. Seit Oktober hat er mit seinem Kollegen Thomas Kraeckel-Hansum den kostbaren mittelalterlichen Schnitzaltar aus der evangelischen St. Elisabethkirche in Hude bei Oldenburg restauriert. Am Sonntag wird das Kunstwerk mit einem Gottesdienst feierlich wieder eingeweiht.

   Kraeckel-Hansum gerät beim farbenfrohen Anblick des Altars ins Schwärmen. «So etwas gibt es in Europa nur einmal», sagt er. In 24 Fenstern hat der Künstler vor 700 Jahren eine Art Bibelcomic geschnitzt, der mit der Verkündigung Marias beginnt und das Leben und Leiden Jesu beschreibt. Er endet mit dem Pfingstfest, das als Geburtstag der Kirche gilt.

   Das wirklich Aufregende des etwa 3,30 mal drei Meter großen Altaraufsatzes ist seine Schnitztechnik. «Der Schnitzer hat vier dicke Eichenbohlen zusammengefügt und dann aus den Bohlen die einzelnen Figuren mit Messer und Stechbeitel unglaublich detailliert herausgearbeitet», beschreibt Kraeckel-Hansum das Meisterwerk. «Jede Figur ist individuell und hat seine eigenen markanten Züge.» Normalerweise sei erst der Rahmen gebaut worden, in den dann die einzelnen geschnitzten Szenen hineingesetzt wurden.

   Zwar sei nicht festzustellen, wer der mittelalterliche Künstler war. «Aber er muss bedeutend gewesen sein», sagt der Restaurator.
Einen ähnlichen, aber längst nicht so kunstvoll geschnittenen Altar gebe es noch im schleswig-holsteinischen Cisma. Der stamme aus einer Lübecker Werkstatt. Doch damit verlören sich alle weiteren Spuren seiner Herkunft.

   Unter Kunsthistorikern war der Huder Altar bis vor wenigen Jahren eher unbekannt und galt als unbedeutend. «Schuld daran war eine schlampige Restaurierung in den 1950er Jahren», sagt Kraeckel-Hansum.
Damals wurden die feinen Schnitzereien so dick mit Farbe zugekleistert, dass Details nicht mehr zu erkennen waren. «Die Tiere auf dem Feld in der Weihnachtsgeschichte sahen alle aus wie Schafe.» Nachdem die Experten die alte Farbe vollständig abgekratzt hatten, zeigte sich ein anderes Bild: «Jetzt sieht man einen halben Zoo mit Ziegen, Böcken, Schafen und Hunden.»

   Besucher reagieren immer wieder überrascht auf die leuchtenden Farben, die so gar nicht in das düstere Bild des Mittelalters passen wollen. «Nachdem wir alles abgekratzt hatten, haben wir Millimeter für Millimeter mit einem Spezialmikroskop nach den ursprünglichen Farbspuren gesucht», sagte der Experte. Dabei entdeckten sie rund 700 Farbspuren und mischten die Farben mit den damals üblichen natürlichen Farbpigmenten wieder zusammen.

   Die Huder St. Elisabethkirche, die ebenfalls im Jahr 1300 gebaut wurde, war im Mittelalter die Torkapelle des benachbarten großen Zisterzienserklosters. Hier empfingen die Mönche ihre Gäste, und nur hier durften die einfachen Menschen den Gottesdienst besuchen. Auch diese Kirche ist eine Rarität in Deutschland. Mit ihrem Altar und den bereits freigelegten Malereien aus dem 14. Jahrhundert gilt sie als eine der wenigen mittelalterlichen Kirchen nördlich der Alpen, die ihre Ursprungsgestaltung bis heute bewahrt haben.