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Gorleben/Garzweiler (epd). «Wir haben das Wattenmeer vor Augen, die Salzwiesen, die langsam verschwinden - wer weiß, wie lange man auf den Halligen noch leben kann», sagt die Umweltaktivistin Bina Friedrich aus Wedel an der Elbe. Für sie ist das eine klare Parallele zu den Dörfern im rheinischen Braunkohlerevier, die den Baggern bereits zum Opfer gefallen sind: «Das macht mich alles ziemlich wütend, diese Ignoranz gegenüber der Schöpfung, die Geldgier und Machtgier.»

 

 

 

Grund genug für die 56-jährige Altenpflegerin, ihre zahlreichen Überstunden jetzt als Pilgerin und Mitorganisatorin auf einem «Kreuzweg für die Schöpfung» abzufeiern. Vier Wochen und 500 Kilometer nach dem Start im Gorleben im Wendland soll die Aktion am Sonntag am Braunkohle-Tagebau im nordrhein-westfälischen Garzweiler bei Mönchengladbach enden.

 

 

 

Auf einer der letzten Etappen hat die rund 20-köpfige Pilgergruppe diese Woche in Essen mit ihrem markanten Markenzeichen Station gemacht: einem gut zwei Meter hohen sonnengelben Fichtenkreuz. Am Mittwoch fand es seinen Platz bei einer Andacht in der evangelischen Marktkirche in der Essener City, tags zuvor ragte es mahnend zur Zentrale des RWE-Konzern auf, der den Tagebau in Garzweiler betreibt.

 

 

 

Es sei «ein urbiblischer Auftrag, die Schöpfung Gottes zu bewahren», betonte der Essener Pfarrer Heiner Mausehund und würdigte «den Mut und den langen Atem» der Pilgergruppe. Sie selbst sieht sich in einer mehr als 30-jährigen Tradition, denn schon 1988 unternahmen Atomkraftgegner einen «Kreuzweg für die Schöpfung» vom bayerischen Wackersdorf nach Gorleben.

 

 

 

Eine eher unerwünschte Publicity bekam die Kampagne am 23. Juli in Hamm durch einen aus Sicht der Pilger «unverhältnismäßigen und unbegründeten» Polizeieinsatz. Wegen umweltpolitischer Botschaften wie etwa dem Papst-Zitat «Diese Wirtschaft tötet» ging die Polizei von einer politischen Versammlung aus, während die Pilger selbst sich als religiöse Gruppe nicht in dieser Kategorie sehen.

 

 

 

Ein junger Kreuzträger kam kurzzeitig in Gewahrsam, und die 62-jährige Beate Haupt wurde am Kopf verletzt, so dass sie ins Krankenhaus musste. Mittlerweile hat das nordrhein-westfälische Innenministerium auf Intervention des rheinischen evangelischen Präses Thorsten Latzel eine Untersuchung zugesagt. Beate Haupt wandert wieder mit.

 

 

 

«Ich möchte, dass es ums Kreuz geht und nicht mehr um diesen Zwischenfall», sagt Haupt während der Andacht in Essen und zündet eine Kerze für ihre Familie an. Worum es ihr eigentlich geht, das ist für die Kirchenvorsteherin aus Aachen keine Frage: «Ich habe fünf Kinder und zehn Enkel, wenn die im Pensionsalter sind so wie ich, dann soll die Erde doch nicht abgesoffen sein.» Das traditionelle stille Beten sei nicht so ihr Ding, meint Beate Haupt. Aber sie pilgert seit 20 Jahren - beten mit den Füßen eben.

 

 

 

Gebete, Andachten und Mahnwachen, aber auch politische Statements und Demonstrationen gehören für die Pilgergruppe zusammen. Deshalb findet ihr Kreuzweg in einem breiten Bündnis von kirchlichen und politischen Gruppen und Umweltinitiativen statt: vom «Gorlebener Gebet» über «Die Kirche(n) im Dorf lassen» bis zur «Klima-Allianz Deutschland» und «Fridays for Future». «Kohleförderung, Atompolitik, Mobilität und Konsum, das hat doch alles mit Klima zu tun,» sagt Sprecherin Negen Jansen aus dem vom Hochwasser betroffenen Mechernich in der Eifel. «Wir müssen überall umdenken.»

 

 

 

Dass genau das seit der Flutkatastrophe in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen jetzt einzusetzen scheint, haben die Pilgerinnen und Pilger am Abend des ersten Hochwassertages Mitte Juli eindrücklich erlebt. Beim Einzug in Bad Pyrmont mit Kreuz und Plakaten wurden sie mit Applaus von Fenstern und Balkonen begrüßt. «Gut, dass ihr das macht, gerade jetzt», hieß es, noch bevor die Gruppe von der Flut gehört hatte. Plötzlich war Klimaschutz das Tagesthema.

 

 

 

Bad Pyrmont und Hamm waren die wichtigsten Zäsuren der vierwöchigen Tour, zieht Physiklehrer Michael Friedrich aus Wedel eine erste Bilanz. «Wir sind eine politisch denkende Kampagne nach außen und ein Pilgerweg nach innen», beides sei bei den insgesamt 26 Etappen zum Tragen gekommen. Für alle gemeinsam geht es jetzt darum, wo das gelbe Pilgerkreuz einen Platz im Dorf Lützerath findet - das demnächst abgerissen werden soll.

 

 

 

Fast alles Land dort gehört schon RWE, bis auf ein 40 Quadratmeter Grundstück, wo vermutlich einmal eine von Eiben umgebene Kapelle stand. Es soll noch heute im Besitz der katholischen Kirche sein. Erst vor wenigen Wochen haben Aktivisten die «Eibenkapelle» entdeckt und den Platz freigelegt. Jetzt komme es darauf an, ob der Aachener Bischof Helmut Dieser es für RWE freigibt oder für das Pilgerkreuz, meint Friedrich. Damit könne sich «ein Zeitfenster öffnen» für ein grundlegendes Umdenken in Wirtschaft und Politik. Der hannoversche Landesbischof Ralf Meister soll das Grundstück bereits als «Fingerzeig Gottes» bezeichnet haben.