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Hildesheim (epd). Mit Blick auf die geplante Abschaffung der kostenlosen Corona-Bürgertests warnt der Soziologe Michael Corsten «vor einer Debatte, die Moralismus über Pragmatismus stellt». «Es mag sich zwar mit dem Gerechtigkeitsempfinden vieler Menschen decken, den Ungeimpften die Kosten für Corona-Tests aufbürden, für klug halte ich diesen Schritt dennoch nicht», betonte der an der Universität Hildesheim lehrende Soziologie-Professor im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd).

 


Sollte es im Herbst tatsächlich zu einer massiven vierten Welle kommen, könnten flächendeckende und niedrigschwellige Testmöglichkeiten erneut wichtig sein, um die Pandemie unter Kontrolle zu halten. «Eine vor allem aus moralischen Gründen gesetzte finanzielle Hürde wäre in einer solchen Situation alles andere als hilfreich», warnte Corsten, der seit Beginn der Pandemie zu ihren gesellschaftlichen Auswirkungen forscht.

 


Zugleich bezeichnete der Soziologe Äußerungen, die Abschaffung kostenloser Bürgertests sei eine Impfpflicht durch die Hintertür, als «Unsinn»: «Auch das ist ein Versuch, mit erhobenem moralischen Zeigefinger Stimmung zu machen.» Corsten rief zu einer sachlichen Betrachtung der Pandemiesituation auf, denn bei nüchternem Blick zeige sich, dass «Deutschland über das Impfen hinaus ein ziemlich gutes Corona-Management» betreibe. «Unsere Inzidenz ist niedriger als in etlichen Nachbarländern, auch solchen mit höherer Impfquote», unterstrich Corsten.

 


Der Soziologe sprach sich dafür aus, bei der Pandemiebekämpfung und ihrer politischen Vermittlung in die Gesellschaft weiterhin auf Anreize statt auf Sanktionen zu setzen. «Ich bezweifele, dass wir die Impfquote in Richtung der angestrebten 85 Prozent bekommen, wenn wir gewissermaßen unterstellen, dass das bislang ungeimpfte Drittel der Bevölkerung vor allem aus Impfgegnern besteht, die jetzt Konsequenzen aufgezeigt bekommen müssen». Nur ein Bruchteil der Bevölkerung komme «aus der Ecke der Esos, Verschwörungsideologen und Rechtsextremen».

 


Die große Mehrheit die Ungeimpften bestünde mutmaßlich aus Menschen, die aus ganz unterschiedlichen Gründen eine Impfentscheidung abwarteten, ernstzunehmende Zweifel hätten, sich nicht gut organisieren könnten oder «erst mal in die Sommerferien fahren wollten». Diese Menschen gelte es, «im Dialog abzuholen anstatt sie vorzuverurteilen». Entscheidend sei es, sich auf Augenhöhe mit den Zweifeln und Einwänden der Unentschlossenen auseinandersetzen und auch weiterhin die individuellen und gesellschaftlichen Vorteile des Impfens sachlich darzulegen. «Das scheint mir ein weitaus erfolgversprechenderer Ansatz, als jetzt ungeduldig Druck zu machen», unterstrich Corsten.