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Oesede/Kr. Osnabrück (epd). Eine Betroffene hat am Montag einen schweren sexuellen Missbrauch in der evangelischen Landeskirche Hannovers in den 1970er Jahren öffentlich gemacht. Der damalige Gemeindediakon in Ausbildung Siegfried G. habe sie 1973 zunächst im Jugendkeller der Kirchengemeinde Oesede gegen ihren Willen geküsst und im Intimbereich berührt, sagte die unter dem Pseudonym Lisa Meyer auftretende Frau bei einer Pressekonferenz in Oesede bei Osnabrück. Bei einer Freizeit 1974 habe er sie dann schwer missbraucht: «Nach heutigem Straftatbestand ist das, was er gemacht hat, als Vergewaltigung anzusehen.»

 

 

 

Meyer hatte gemeinsam mit der hannoverschen Landeskirche zu der Pressekonferenz eingeladen, um einen Aufarbeitungsprozess zu starten. Ihr Statement wurde dabei in einem anonymisierten Video eingespielt und sie war für Fragen zugeschaltet. Sie warf der Kirche Versäumnisse im Umgang mit Missbrauch und den Betroffenen sowie eine «Salamitaktik» in ihrem Fall vor. Dies gelte bis heute, eine Aufarbeitung finde allein auf ihre Initiative hin statt.

 

 

 

Lisa Meyer wird in der Aufarbeitung von der Kirchengemeinde Oesede und dem Kirchenkreis Melle-Georgsmarienhütte unterstützt, die den Fall durch unabhängige Experten aufarbeiten lassen wollen. Für die Landeskirche räumte der Leiter der Rechtsabteilung im Landeskirchenamt, Rainer Mainusch, Fehler ein. «Die Ereignisse, um die es heute geht, zeigen die ganze Widersprüchlichkeit im Umgang unserer Kirche mit sexualisierter Gewalt», sagte er. Zwar habe sich in den vergangenen zwei Jahrzehnten viel verbessert, doch gebe es weiterhin viel zu tun.

 

 

 

Mainusch war bereits 2010 in den Fall involviert, als Meyer den damaligen Osnabrücker Landessuperintendenten darüber informierte, was ihr angetan wurde. Lisa Meyer kritisiert, dass seinerzeit weder die Kirchengemeinde noch die damalige Superintendentin informiert wurden, obwohl der Täter zu diesem Zeitpunkt noch lebte. «Demzufolge wurden auch keine öffentlichen Aufrufe an mögliche weitere Opfer in der Gemeinde oder wie auch immer geartete Nachforschungen veranlasst.»

 

 

 

Mainusch sagte dazu: «Der Beschuldigte konnte arbeitsrechtlich nicht mehr belangt werden, weil er 1977 entlassen worden war.» Strafrechtlich sei der Fall verjährt gewesen, darum habe aus damaliger Sicht kein Handlungsbedarf bestanden. «Gemessen an unseren heutigen Grundsätzen war das ein Fehler.» Das Konzept der Landeskirche sei mittlerweile angepasst worden. Eine Kirchensprecherin erläuterte dazu auf epd-Anfrage, auf der Internetseite der Fachstelle Sexualisierte Gewalt sei mittlerweile ausformuliert, der jeweilige Kirchenkreis sei in allen Verdachtsfällen zu informieren. «In den Krisenplänen muss das noch präzisiert werden.»

 

 

 

Der Oeseder Gemeindepastor Nils Donadell sagte, es sei unerträglich, dass der Täter nie zur Verantwortung gezogen worden sei. «Etwas naiv bin ich persönlich davon ausgegangen, dass unsere Kirche über Strukturen verfügt, die beim Bekanntwerden eines Missbrauchsfalls eine schnelle und vor allem unabhängige Aufarbeitung ermöglichen. Das war ein Irrtum.»

 

 

 

Siegfried G. war von der Kirchengemeinde 1977 entlassen worden, nachdem unabhängig von Lisa Meyers Fall weitere Vorwürfe gegen ihn laut wurden. Angezeigt wurde er nie, so ergeben es Akten. Dabei muss nach den Worten des Meller Superintendenten Hannes Meyer-ten Thoren von weiteren Opfern außerhalb der Kirchengemeinde ausgegangen werden. Deshalb seien auch die Bürgermeisterin und der Vorsitzende eines Sportvereines bereits ins Vertrauen gezogen worden.

 

 

 

Lisa Meyer hatte sich am Abend nach der Tat 1974 einer erwachsenen Betreuerin anvertraut. Diese habe sie der Lüge bezichtigt und ihr verboten, die Vorwürfe zu wiederholen, berichtete sie. «Ich habe mich danach niemandem mehr anvertraut.» Als Erwachsene erkrankte sie an Depressionen und einer Posttraumatischen Belastungsstörung. 2020 beantragte sie bei der Landeskirche eine «Anerkennungsleistung» für ihr Leid und bekam diese zugebilligt.

 

 

 

Das Verfahren sei allerdings «sehr belastend» und «absolut intransparent» gewesen, der Umgang der damaligen Leiterin der Fachstelle unprofessionell. Die Leitung der Fachstelle ist seit Monatsbeginn mit der Pastorin Karoline Läger-Reinbold neu besetzt worden und soll erweitert werden. «Eine professionelle, Trauma-sensible Begleitung betroffener Personen ist uns ein großes Anliegen, aber auch eine Herausforderung», sagte sie. Lisa Meyer und andere Betroffene raten überdies dazu, sich externe Begleitung zu suchen.