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Bremen (epd). Flüchtlinge dürfen nach Auffassung des Afghanistan-Experten Thomas Ruttig aufgrund der schlechten Sicherheitslage in dem Land keinesfalls nach Afghanistan abgeschoben werden. «Dort gibt es keine sicheren Gebiete», sagte der Ko-Direktor der unabhängigen Recherche-Organisation «Afghanistan Analysts Network» am Donnerstag dem Evangelischen Pressedienst (epd). Beobachter registrierten in allen Provinzen «sicherheitsrelevante Vorfälle», die von ausgehobenen Waffenlagern bis zu Mordanschlägen reichten. Ruttig wollte am Abend im Bremer Gewerkschaftshaus über die Sicherheitslage in Afghanistan berichten.

Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) hatte kürzlich bei einem Besuch in Kabul gesagt, in Afghanistan gebe es sichere Gebiete. Er sagte auch, deutsche Soldaten blieben so lange in Afghanistan, wie es nötig sei. «Aber wir erwarten dann auch, dass die afghanische Bevölkerung hierbleibt.» Ruttig sagte, diese Einschätzung sei zynisch. Über Jahre hätten es ausländische Truppen in Afghanistan nicht geschafft, dauerhaft Sicherheit zu schaffen. «Und Bundeswehr-Soldaten schützen sich im Wesentlichen selbst.»

Ruttig betonte, Afghanen seien für ihn nach wie vor Kriegsflüchtlinge. Zugleich besteht eine «dringende» Reisewarnung für Afghanistan, die das Auswärtige Amt ausgegeben habe. «Wer dennoch reist, muss sich der Gefährdung durch terroristisch oder kriminell motivierte Gewaltakte bewusst sein», heißt es auf dem Internetportal des Ministeriums. In ganz Afghanistan bestehe ein hohes Risiko, Opfer einer Entführung oder eines Gewaltverbrechens zu werden.

Nach Angaben des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge standen Afghanen im Februar nach Syrern und Irakern auf dem dritten Platz der nach Ländern sortierten Liste der Asyl-Erstanträge. Ruttig kritisierte, trotz der dramatischen Sicherheitslage in ihrem Heimatland schätzten offizielle Stellen die Bleibeperspektiven der Afghanen in Deutschland im Vergleich etwa zu Geflüchteten aus Syrien eher schlecht ein. «Das schließt sie aus Integrationsangeboten wie beispielsweise Sprachkursen aus.»

Weil sich der Krieg verschärfe und auch deshalb die Wirtschaft zusammenbreche, machten sich die Menschen auf den Weg, sagte Ruttig. «Es ist unfair, sie deshalb zurückzuweisen.» Wer so verfahre, bewerte Asyl nach ethnischen Kategorien und nicht individuell, wie es das Völkerrecht vorschreibe. Ohnehin schulterten andere Länder viel größere Aufgaben. So hätten Pakistan und der Iran 95 Prozent der afghanischen Flüchtlinge aufgenommen.

Gleichzeitig warnte Ruttig davor, Entwicklungsgelder zu kürzen so wie in Norwegen, wo Flüchtlingsausgaben als Entwicklungshilfe zählen. «Dann unterminiert die linke Hand, was die rechte Hand aufbaut», sagte der Experte mit Blick auf den Kampf gegen die Fluchtursachen.