Hannover (epd). Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, Heinrich Bedford-Strohm, warnt vor einer nervöseren politischen Kultur. "Wenn Fakten durch Emotionen einfach weggefegt werden können, geht die Grundlage für den demokratischen Diskurs verloren", sagte der bayerische Landesbischof dem Evangelischen Pressdienst (epd). Das Wort vom "Postfaktischen" müsse ein Anlass zur Sorge sein. Der Ausdruck war von der Gesellschaft für deutsche Sprache in der vergangenen Woche zum "Wort des Jahres" gewählt worden.
Bedford-Strohm sprach sich dafür aus, eine neue Balance zwischen Emotionen und Wahrnehmung der Realität zu finden. "Selten war es wichtiger zu entscheiden, aus welchen Geschichten wir in unserem Land leben wollen", sagte der Theologe. Angst, Hass und Ausgrenzung würden auf dem Markt der Meinungen zu einer giftigen Geschichte zusammengerührt. "Ich wünsche mir ein Land, das seine Kraft aus der Hoffnung auf eine bessere Welt schöpft", erklärte Bedford-Strohm. Die Weihnachtsbotschaft "Fürchte Dich nicht" und "Friede auf Erden" sei 2016 wichtiger denn je.
Der EKD-Ratsvorsitzende wandte sich dagegen, dass sich einzelne Gruppen in der Gesellschaft als "das Volk" bezeichnen und dann einen Gegensatz zwischen Eliten und dem Volk konstruieren. "Im Volk gibt es eben sehr unterschiedliche Stimmen", sagte Bedford-Strohm. Die Aufgabe der Kirchen sei es, ihre christliche Grundorientierung in den öffentlichen Diskurs einzubringen: "Die Demokratie lebt ja von solchen Debatten."
Es könne für die Kirchen nicht um Einmischung in Parteipolitik oder tagespolitische Kommentare gehen. "Das schadet dem Grundauftrag der Kirchen", erklärte der oberste Repräsentant der rund 22,3 Millionen Protestanten in Deutschland. "Aber da, wo das Doppelgebot der Liebe auf dem Spiel steht, also Gott und seinen Nächsten zu lieben - und wo es darum geht, die Not von anderen Menschen zu überwinden, da müssen sich die Kirchen einmischen."
Der Theologe mahnte Anstandsregeln für die gesellschaftliche Auseinandersetzung an. "Gegenwärtig erleben wir ein aufgeheiztes Klima, in dem die Beleidigung zum Normalfall zu werden droht", sagte Bedford-Strohm. Diese Entwicklung, die sich vor allem im Internet abspiele, sei nicht hinzunehmen: "Elektronische Kommunikation darf nicht dazu führen, den Anderen nur als Mülleimer für die eigene Wut zu missbrauchen."
Der bayerische Landesbischof sieht eine rote Linie überschritten, "wo Menschengruppen herabgesetzt werden oder wo sogar gegen sie gehetzt wird". Ausländerfeindlichkeit sei niemals mit dem christlichen Glauben vereinbar.