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Die Finanzämter berechnen den niedersächsischen Werkstätten für behinderte Menschen für Dienstleistungen seit kurzem 19 statt 7 Prozent Umsatzsteuer. Viele Werkstätten fürchten nun, ganze Arbeitszweige schließen zu müssen.

Hannover (epd). Die Behindertenwerkstätten in Niedersachsen sehen ihre Existenz durch höhere Umsatzsteuern bedroht. Vor allem im Dienstleistungsbereich berechneten die Finanzbehörden den Werkstätten seit dem vergangenen Jahr 19 Prozent Umsatzsteuer, sagte der Geschäftsführer der Landesarbeitsgemeinschaft für Werkstätten für behinderte Menschen, Bernhard Lengl, am Mittwoch dem epd. Bisher galt der ermäßigte Steuersatz von 7 Prozent, um die Arbeit der behinderten Menschen zu unterstützen. Auch die Oppositionsparteien im niedersächsischen Landtag kritisierten die rot-grüne Steuerpolitik. Das Finanzministerium wies die Vorwürfe dagegen zurück.

Die Regelung in Niedersachsen sei bundesweit einmalig, sagte Lengl: «In allen anderen Bundesländern wird weiter nur der ermäßigte Umsatzsteuersatz von sieben Prozent berechnet.» Zwar gelte das entsprechende Bundesgesetz mit dem Steuersatz von 19 Prozent bereits seit 2007, doch sei es bislang nie angewendet worden. Den Einrichtungen drohten nun rückwirkende Nachzahlungen bis zum Jahr 2007. Mindestens ein Träger habe bereits einen rückwirkenden Steuerbescheid erhalten, dem zufolge er rund 500.000 Euro nachzahlen soll.

In den niedersächsischen Werkstätten arbeiten laut Lengl rund 31.000 behinderte Menschen. Etwa jeder vierte von ihnen sei im Dienstleistungsbereich beschäftigt. Dazu gehörten Wäschereien, Druckereien, Cafés und Schul-Cafeterien. Auch die «Cap-Supermärkte» in denen Menschen mit Beeinträchtigungen arbeiten, seien betroffen.
«Es trifft besonders die Bereiche, in denen Inklusion gelebt wird und wo Menschen für den ersten Arbeitsmarkt fitgemacht werden.»

Bleibe es bei dem erhöhten Steuersatz, müssten diese Bereiche langfristig geschlossen werden, warnte Lengl. Zumindest müssten die ohnehin bereits niedrigen Löhne der behinderten Beschäftigten gekürzt werden. Die Landesarbeitsgemeinschaft habe allen 86 Trägergesellschaften in Niedersachsen empfohlen, gegen die Steuerbescheide Widerspruch einzulegen und den Klageweg zu beschreiten. Lengl rief die Landesregierung auf, «alles zu tun, damit der Alleingang der niedersächsischen Finanzverwaltung ein Ende findet».

Die CDU-Landtagsfraktion kritisierte, die Landesregierung habe die Auswirkungen ihrer Steuerpolitik auf die Werkstätten nicht erkannt. «Im Sinne der Inklusion und Integration von Menschen mit Behinderung in den ersten Arbeitsmarkt sind die nun geforderten Steuernachzahlungen ein fatales Signal», sagte der stellvertretende Vorsitzende Reinhold Hilbers. Sylvia Bruns von der FDP nannte die Steuerpraxis einen Skandal. Sie forderte die Landesregierung auf, unbürokratisch und schnell den in ihrer Existenz bedrohten Einrichtungen zu helfen, unter anderem durch einen Erlass von Steuerschulden.

Das Finanzministerium in Hannover nannte die Kritik «unbegründet und unsachlich». Es handele sich um bundeseinheitliche Regelungen, die überall einheitlich ausgelegt und angewandt würden, sagte ein Sprecher. Danach könne der ermäßigte Steuersatz nur auf selbst hergestellte Waren der Werkstätten angewendet werden. Die Werkstätten hätten ihr Geschäftsfelder in den vergangenen Jahren jedoch verändert. Letztlich könne nur das Bundesfinanzministerium in dieser Frage entscheiden.