Hannover (epd). Die bundesweit erste Übernahme sechs insolventer katholischer Einrichtungen durch einen evangelischen Träger ist nach wochenlangen Konflikten besiegelt. Das Evangelische Johannesstift in Berlin wird rückwirkend zum 1. August 90 Prozent der Gesellschaftsanteile der Caritas Seniorendienste Hannover gGmbH übernehmen, sagte der Vorsteher des Johannesstifts, Martin von Essen, am Donnerstag vor Journalisten in Hannover. Mit zehn Prozent bleibe der Caritasverband Hannover weiter Gesellschafter.
Mitarbeitervertreter kritisierten die Übernahme, da die Beschäftigten mit Lohnkürzungen bis zu 13 Prozent rechnen müssen.
«Da ist viel Porzellan zerschlagen worden», sagte Annette Klausing von der Gewerkschaft ver.di. Die etwa 580 Mitarbeiter seien unter Druck gesetzt worden, neue Verträge zu unterschreiben, in denen ein deutlich niedrigerer Tarif zugrunde gelegt wird. Der neue Träger habe ein Klima der Angst und Unsicherheit erzeugt. Einzelne Mitarbeiter seien im Urlaub angerufen worden oder zu Einzelgesprächen gebeten worden. «Wir werden aufmerksam verfolgen, ob es bei denen, die nicht unterschrieben haben, zu Repressionen kommt.»
Von Essen sagte, die Zustimmung liege in fünf Einrichtungen bei knapp 100 Prozent, in der sechsten bei 60 Prozent: «Hier haben wir unser Ziel noch nicht erreicht und werden weiter den Dialog suchen.» Die Mitarbeiter, die noch nicht unerschrieben hätten, würden zunächst weiter nach dem alten Caritas-Tarif bezahlt. Mit vier Einrichtungen seien bereits konkrete Schritte zur Überleitung vereinbart worden. Zurzeit werde auch noch über einen Namen nachgedacht.
Über den Kaufpreis sei Stillschweigen vereinbart worden, sagte von Essen weiter. Das Johannesstift plane Investitionen von 8,3 Millionen Euro. Damit solle direkt nach dem Sommer begonnen werden. Sowohl von Essen als auch der katholische Propst Martin Tenge bedauerten die Lohneinbußen der Mitarbeiter: «Wir hätten ihnen diese Verluste gern erspart, denn wir wissen, dass sie ihr Geld mehr als wert sind.»
Die Mitarbeitervetretung der Caritas und ver.di hatten in den vergangenen Wochen immer wieder gegen die Absenkung der Gehälter protestiert und wiederholt Verhandlungen mit anderen Anbietern gefordert. Die in Niedersachsen ausgehandelten Tarife für die evangelischen Kirchen liegen über den Vereinbarungen für die evangelische Kirche in Berlin.
Der hannoversche Diakoniedirektor Christoph Künkel sagte, er respektiere die Entscheidung der Caritas-Mitarbeiter. Die hannoversche Diakonie habe selbstverständlich den Wunsch, künftig konstruktiv mit dem neuen Träger zusammenzuarbeiten. Ökumenische Trägerschaften seien im Übrigen nichts Neues. Es gebe sie bereits an verschiedenen Standorten. Die Diakonie hatte sich in den vergangenen Wochen kritisch zu den niedrigeren Tarifen des Johannesstifts und den Pflegesätzen in Niedersachsen geäußert. Diese liegen um 20 Prozent unter dem Schnitt der westdeutschen Bundesländer.
Mitarbeitervertreterin Christine Janus warf der Caritas eine schlechte Geschäftsführung vor. Die finanziellen Probleme der Caritas seien seit Jahren bekannt gewesen. Jetzt würden die Mitarbeiter vor vollendete Tatsachen gestellt, ohne dass ausreichend Zeit für Verhandlungen gewesen sei: «Wir fühlen uns geschubst.»
Die Mitarbeiter müssten nun durch ihren Verzicht die wirtschaftlichen Interessen des Berliner Werks mittragen. Viele von ihnen arbeiteten in Teilzeit und könnten von den abgesenkten Gehältern nicht leben. «Es ist schon ein komisches Gefühl, wenn man bei der Kirche arbeitet und sich zusätzliche Unterstützung durch Hartz IV holt», sagte Janus.
Der Hildesheimer Anwalt Professor Ulrich Hammer hat inzwischen im Namen von zwei Mitarbeitervertretungen eine Klage vor dem für die Caritas zuständigen Gemeinsamen Kirchlichen Arbeitsgericht in Hamburg eingereicht. Der Grund sei eine Verletzung der Mitbestimmungsrechte, sagte Hammer. Nach einer Entscheidung des kirchlichen Arbeitsgerichtshofes haben die Mitarbeiter ein Mitspracherecht, wenn es zu erheblichen Änderungen der Arbeitsverträge kommt. In diesem Fall gehe es um den Wechsel in ein völlig anderes Tarifsystem. Die Verträge dürften ohne Zustimmung der Mitarbeitervertretung gar nicht erst unterschrieben werden und seien auch nicht wirksam.