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Anderthalb Jahre nach der teilweisen Freigabe von Cannabis haben die Suchtberatungsstellen immer mehr Zulauf von Konsumenten. Diakonie-Vorstandssprecher Hans-Joachim Lenke fordert mehr Anstrengungen bei der Prävention, vor allem bei jungen Menschen.

Hannover (epd). Der niedersächsische Diakonie-Chef Hans-Joachim Lenke fordert mehr Prävention gegen die Cannabis-Sucht. Anderthalb Jahre nach der Teillegalisierung der Droge wendeten sich mehr Menschen an die Suchtberatungsstellen der Diakonie, sagte Lenke im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd). Dort berichteten sie, dass durch die Legalisierung der Konsum in der Öffentlichkeit zugenommen habe und der im Alltag häufig wahrnehmbare typische Cannabis-Geruch für viele ein Trigger sei: «Das erschwert für viele die Abstinenz.» Die Diakonie ist mit 35 Einrichtungen der größte Träger von Suchtberatungsstellen in Niedersachsen.

Der Konsum von Cannabis könne zu psychischen Abhängigkeiten führen, warnte Lenke, der 2026 den Vorsitz in der Landesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege in Niedersachsen übernimmt: «Damit stellt diese Droge ein immenses Gesundheitsrisiko dar.» Besonders gravierende Auswirkungen habe der Konsum bei Jugendlichen. Sie seien noch im Wachstum, ihr Gehirn entwickele sich noch. «Und gerade regelmäßiger Cannabis-Konsum kann das Risiko, an einer Psychose zu erkranken oder andere gesundheitliche Schädigungen davon zu tragen, deutlich erhöhen.»

Eltern oft keine guten Vorbilder
Die Antwort darauf müsse eine verstärkte Prävention sein, betonte der Diakonie-Chef: «Insgesamt muss das Thema Sucht mehr ins gesellschaftliche Bewusstsein getragen werden.» Besonders wichtig sei es dabei, junge Menschen zu erreichen: «Wir benötigen dringend mehr Aufklärung an Schulen.» Vor allem müssten Jugendlichen alternative Strategien aufgezeigt werden, Stress zu bewältigen. Zu Hause werde jungen Menschen von den Eltern oft vorgelebt, dass es völlig in Ordnung sei, nach einem anstrengenden Arbeitstag mit einer Droge zu entspannen, etwa einem Glas Wein. Das sei kein gutes Vorbild.

«Prävention ist immer besser, als im Nachhinein das Problem lösen zu müssen», unterstrich Lenke: «Von einer Sucht loszukommen, ist ein schwieriger Weg.» Für die Suchtprävention müsse die Politik mehr Geld in die Hand nehmen: «Aber das ist langfristig günstiger, als die hohen wirtschaftlichen Folgekosten von Sucht zu stemmen.»

Lenke: Prävention ist das Gebot der Stunde
Insgesamt wandte sich Lenke dagegen, die Teillegalisierung von Cannabis wieder rückgängig zu machen. «Nach Abwägung aller Vor- und Nachteile würden wir uns für eine Beibehaltung aussprechen», sagte er. «Auch deshalb, weil wir endlich einen Schlussstrich unter die Kriminalisierung der Konsumentinnen und Konsumenten ziehen wollen.» Er sei an diesem Punkt aber «durchaus ambivalent», räumte er ein. Prävention sei jetzt das Gebot der Stunde: «Die Unsicherheit und Kriminalisierung sind dabei nicht hilfreich.»

epd-Gespräch: Michael Grau

Internet: www.diakonie-in-niedersachsen.de
 

Diakonie-Chef Lenke: «Cannabis-Geruch für viele ein Trigger»

Anderthalb Jahre nach der teilweisen Freigabe von Cannabis haben die Suchtberatungsstellen immer mehr Zulauf von Konsumentinnen und Konsumenten. Diakonie-Vorstandssprecher Hans-Joachim Lenke fordert mehr Anstrengungen bei der Prävention.

Hannover (epd). Vor anderthalb Jahren trat das Bundesgesetz zur teilweisen Legalisierung von Cannabis in Kraft. Danach dürfen zugelassene Anbauvereine nun gemeinschaftlich Hanf für den Eigenkonsum ihrer erwachsenen Mitglieder produzieren. Inzwischen gibt es bundesweit mehr als 300 solcher Vereinigungen. Und der legale Konsum ist in den Suchtberatungsstellen angekommen. Die Diakonie unterhält allein in Niedersachsen 35 Beratungsstellen und ist damit der größte Träger im Bundesland. Im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd) zieht Vorstandschef Hans-Joachim Lenke ein vorläufiges Fazit der Cannabis-Freigabe. Lenke übernimmt 2026 den Vorsitz in der Landesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege in Niedersachsen.

epd: Herr Lenke, die Diakonie ist der größte Anbieter von Suchtberatungsstellen in Niedersachsen. Wie spiegelt sich dort die Teillegalisierung von Cannabis?
Lenke: Man kann sagen, dass es zu mehr Anfragen zu diesem Thema in unseren Beratungsstellen geführt hat. Die Legalisierung hat diese Droge aus der Illegalität geholt. Und der daraus resultierende Effekt ist, dass sich mehr Menschen trauen, sich Beratung und Hilfe zu suchen. Die Herausforderungen für Konsumentinnen und Konsumenten sind dabei größer geworden. In unseren Beratungsstellen berichten uns Klientinnen und Klienten, dass durch die Legalisierung der Konsum in der Öffentlichkeit zugenommen hat und dass gerade der typische Cannabis-Geruch für viele ein Trigger ist. Das erschwert für viele die Abstinenz, wenn der Geruch im normalen Alltag so häufig wahrnehmbar ist.

epd: Viele sagen, Cannabis sei bei weitem nicht so schädlich wie Alkohol und dürfe nicht verteufelt werden. Teilen Sie diese Ansicht?
Lenke: Eins will ich ganz klar festhalten: Cannabis ist eine Droge und damit langfristig immer schädlich für den Körper. Aber wenn man jetzt zwei legale Drogen wie Alkohol und Cannabis vergleichen möchte, dann ist Cannabis nach Ansicht mancher Expertinnen und Experten nicht so schädlich wie Alkohol. Cannabis wirkt sehr punktuell im Gehirn. Alkohol ist ein Zellgift, das im Grunde jede Zelle schädigt, und zwar bei jedem Konsum und auch egal in welcher Intensität er konsumiert wird.

Aber letztlich ist Cannabis eine Droge, die unter anderem zu Wesensveränderungen führen kann. Auch Abhängigkeiten können entstehen. Vielleicht nicht unbedingt körperliche, aber häufig kommt es zur psychischen Abhängigkeit, und damit stellt diese Droge ein immenses Gesundheitsrisiko dar. Bei Jugendlichen sehen die Auswirkungen natürlich nochmal anders aus. Jugendliche sind noch im Wachstum, auch ihr Gehirn reift noch. Und gerade regelmäßiger Cannabis-Konsum kann das Risiko, an einer Psychose zu erkranken oder andere gesundheitliche Schädigungen davon zu tragen, deutlich erhöhen.

epd: Was muss aus Ihrer Sicht passieren, um Jugendliche zu schützen?
Lenke: Insgesamt muss das Thema Sucht und Konsum von Suchtmitteln mehr ins gesellschaftliche Bewusstsein getragen werden. Wir benötigen dringend mehr Aufklärung an Schulen über Suchtmittel oder suchtförderndes Verhalten. Das Suchtverhalten ist immer ein Kompensationsverhalten. Damit wird zum Beispiel versucht, Stress abzubauen. Wir kennen das auch von uns selbst. Für viele ist es ganz normal, am Abend nach einem anstrengenden Arbeitstag ein Glas Wein zu trinken - zur Entspannung oder als eine Art Belohnung. Dieses Verhalten wird den Jugendlichen vorgelebt. Damit zeigen wir als Erwachsene, dass es vollkommen in Ordnung ist, sich mit einer Droge zu entspannen. Wir sind davon überzeugt, dass wir Angebote stärken müssen, die Jugendlichen andere Strategien der Stressbewältigung aufzeigen, die ihre Resilienz stärken und Alternativen zum Drogenkonsum anbieten.

epd: Muss die Prävention verstärkt werden?
Lenke: Absolut. Das kennen wir doch auch aus anderen Kontexten.
Prävention ist immer besser, als im Nachhinein das Problem lösen zu müssen. Von einer Sucht loszukommen, ist ein schwieriger Weg, oftmals mit vielen Rückschlägen versehen und häufig mit großen Gesundheitsrisiken verbunden. Präventionsangebote setzen am Anfang des Problems an. Sie klären auf und zeigen andere Wege auf. Und das ist enorm wichtig. In Niedersachsen gibt es rund 1,3 Millionen Betroffene mit einer Substanzkonsum-Störung oder abhängigen Verhaltensweisen. Das ist rund jede oder jeder Sechste. Als Gesellschaft haben wir hier ein riesengroßes Problem. Dementsprechend muss die Präventionsarbeit dringend gestärkt werden. Das bedeutet aber auch: Wir brauchen mehr Geld dafür. Aber das ist langfristig günstiger, als die hohen wirtschaftlichen Folgekosten von Sucht zu stemmen.

epd: Hat sich die Teillegalisierung aus Ihrer Sicht bewährt?
Lenke: Wie gesagt, Cannabis ist eine Droge. Da gibt es nichts schönzureden. Aber wir merken eben auch, dass sich seit der Teillegalisierung mehr Menschen trauen, sich Hilfe zu holen, und sie kommen früher zu uns in die Beratungsstellen. Ein Hauptproblem in der Suchthilfe ist ja, dass sich viele Suchterkrankte erst späte Hilfe suchen. Ein weiterer Vorteil der Teillegalisierung ist, dass die Konsumentinnen und Konsumenten beim Kauf des Cannabis in den legalen Shops sicher sein können, dass das Cannabis pflanzlich ist. Auf dem Schwarzmarkt wird sehr viel synthetisches Cannabis verkauft. Als Käufer weiß ich nie, was genau drin ist. Das birgt große Gefahren.
Aber insgesamt bin ich durchaus ambivalent.

epd: Sollte sie wieder rückgängig gemacht werden?
Lenke: Nach Abwägung aller Vor- und Nachteile würden wir uns für eine Beibehaltung aussprechen. Auch deshalb, weil wir endlich einen Schlussstrich unter die Kriminalisierung der Konsumentinnen und Konsumenten ziehen wollen. Wir sollten jetzt an wirkungsvollen Präventionsstrategien und Beratungsmodellen arbeiten. Die Unsicherheit und Kriminalisierung sind dabei nicht hilfreich.