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Von Jörg Nielsen (epd) =

Immer wieder öffnet sich die Tür der Emder Johannes-a-Lasco-Bibliothek. Schweigend gehen die Besucher zu dem schlichten Tisch mit einem Kondolenzbuch, um ihren Namen einzutragen. Die Emder trauern um Lena.

Emden (epd). «Die Stadt hat sich verändert», sagt eine junge Mutter. Sie zündet eine Kerze an und stellt sie in das Meer aus Lichtern und Kuscheltieren vor ein Parkhaus in Emden. «Das sorglose Vertrauen ist weg», sagt sie und wischt sich eine Träne aus dem Augen. Nur wenige Schritte entfernt ist die elfjährige Lena in der vergangenen Woche ermordet worden, um einen sexuellen Missbrauch zu vertuschen. Zwar ist sich die Polizei inzwischen sicher, den Täter gefasst zu haben, doch die Unsicherheit der Menschen bleibt.

In der nahen Johannes-a-Lasco-Bibliothek steht ein schlichter Tisch mit einem dicken Kondolenzbuch. Immer wieder kommen Menschen in die Bibliothek in einer früheren Kirche. Mehrere Hundert Besucher haben bereits ihren Namen in das Buch geschrieben. Oberbürgermeister Bernd Bornemann (SPD) hatte darum gebeten, auf weitergehende Kommentare zu verzichten. Bis zum Donnerstag ist die Bibliothek von 10 bis 17 Uhr geöffnet.

«Wir brauchen eine Zeit der Entschleunigung, um dies alles aufzuarbeiten» sagt der evangelische Pastor Manfred Meyer. Er hat Lena am vergangenen Freitag beerdigt. Im Sonntagsgottesdienst zwei Tage später sei die Kirche voller gewesen als sonst. «Die Menschen fragen immer wieder, wie gehen wir damit um?»

Die kleine Stadt an der Nordsee mit ihren 50.000 Einwohnern sei mit den Ereignissen völlig überfordert gewesen. «Die Medien und die Schnelligkeit der Ereignisse in diesen Tagen hat uns einfach überrollt», sagt Meyer nachdenklich. Noch immer stehen an allen Punkten in der Stadt, die mit Lena in Verbindung gebracht werden, die Übertragungsfahrzeuge der großen TV-Sender.

Mit der Beerdigung und der Identifizierung des mutmaßlichen Täters sei es nicht getan, resümiert Meyer. Es müsse viel aufgearbeitet werden. «Aber ich nehme eine wachsende Sensibilität bei den Menschen wahr.» Neben der Anteilnahme für Lenas Familie rückten auch die anderen Betroffenen in den Blick.

«Vier Familien haben bereits die Stadt verlassen», erzählt der Pastor. Darunter sei die Familie des Jungen, der am Tattag mit Lena unterwegs war. Die Familien des unschuldig festgenommenen 17-Jährigen und die des mutmaßlichen Täters seien ebenfalls nicht mehr in der Stadt. Auch die Familie eines weiteren unschuldigen 16-Jährigen, der über das Internet als Täter mit Bild, Namen und Adresse vorverurteilt wurde, habe Emden erst einmal verlassen.

Die Staatsanwaltschaft ermittelt inzwischen gegen einen 18-Jährigen, der im Internet zur Lynchjustiz aufgefordert hatte. Rund 50 Menschen hatten nach dem Aufruf auf facebook vor dem Polizei-Gebäude die «Herausgabe» des im Nachhinein unschuldigen 17-Jährigen gefordert.

Ein Vater ist mit seinem Sohn zum Parkhaus gekommen. Der Sechsjährige hat einen Stoffhasen für Lena dabei. «Mich erschrickt, was Menschen über facebook im Internet anstellen», sagt der Mann. Das falle zurück auf die ganze Stadt, als «Stadt des Hasses» sei Emden jetzt diffamiert. «Das ist nicht Emden. Ich versuche meinem Sohn Werte nahezubringen. Aber angesichts solcher Hasstiraden im Netz ist das nicht leicht.»

Die Mutter vor dem Parkhaus schüttelt mit dem Kopf. «Ich kann es immer noch nicht in Worte fassen.» Bislang habe sie ihrer kleinen Tochter immer eingetrichtert, nie alleine, sonder immer nur zu zweit irgendwo hinzugehen. «Wir haben gesehen, dass auch das nichts hilft. Wie sollen wir den unseren Kindern Vertrauen beibringen und sie gleichzeitig schützen?»