Braunschweig (epd). Sie sind gerade mit der Schule fertig, da sie arbeiten und lehren selbst schon ehrenamtlich in Kindergärten, Schulen oder Waisenhäusern. Die Stipendiaten der Braunschweiger Stiftung Ökumenisches Lernen, einer Initiative der evangelischen Landeskirche, sind für ein halbes oder ganzes Jahr in Brasilien, Äthiopien oder Thailand im Einsatz. Ihre Erfahrungen prägen sie für ihr ganzes Leben. Nach ihrer Rückkehr verarbeiten sie das Erlebte in der Gruppe.
Fritz (19) hat noch vor wenigen Wochen Tsunami-Waisen in Thailand unterrichtet. «Auf so etwas kann man sich nicht vorbereiten», sagt der Schüler aus Wolfenbüttel. «Ganz plötzlich ist man mitten im Urwald die Vaterfigur für einen Jungen, der sonst gar nichts mehr hat.» Solveik (19) aus Bad Gandersheim hat ganz ähnliche Erfahrungen in Namibia gemacht. Allerdings bekam sie in ihrer Gastfamilie den offiziellen Status einer Tochter «mit allen Rechten und Pflichten.»
Für Stiftungs-Geschäftsführer Harald Welge sind die Berichte seiner Schützlinge Ansporn und Bestätigung zugleich. «Die Rückkehrer berichten mir immer wieder, dass sich für sie etwas Grundlegendes geändert hat», sagt der Pfarrer. Lernen heiße Veränderung - daher sei es durchaus gewollt, dass diejenigen, die für eine gewisse Zeit in eine Partnerkirche im Ausland gehen, am Ende nicht nur ihr Gast-, sondern auch ihr Heimatland mit anderen Augen sehen.
«Der Kulturschock war bei der Rückkehr sogar noch viel größer», sagt Solveik. Als sie zum ersten Mal wieder in Deutschland beobachtete, wie Menschen mit geistlosen Gesichtern im Supermarkt ihre Wagen füllten, da sei ihr bewusst geworden, wie wenig Demut die Menschen offenbar den Verhältnissen entgegenbringen, in denen sie hier leben dürfen. «Als ich wiederkam, war plötzlich alles grau und hatte etwas Fades», beschreibt auch Luisa (20) ihre ersten Erfahrungen, nachdem sie aus Brasilien zurück in Einbeck war.
«Wir haben die Chance gehabt, in ein Leben einzutauchen, zu dem wir sonst nie einen Zugang gefunden haben», sagt Manon (19), die in England arme Jugendliche betreut hat. Allen sei dabei klar geworden, wie eng das Sichtfeld in der Wohlstandsgesellschaft werden kann.
«Wenn du ins Ausland gehst, erwartest du, dass etwas anders ist», sagt Fritz. «Dann kommst du nach Hause, und alles fühlt sich fremd und falsch an. Erst dann merkst du, dass es an dir liegt.»
Sie alle seien in eine Sinnkrise gefallen, beschreiben die jungen Erwachsenen ihre Heimkehr. «Das Bild von unserem Land hat sich verändert, das mussten wir zulassen», sagt Fritz stellvertretend für die Gruppe. Die Erfahrung habe sie reifer und stärker werden lassen.
Auf die Frage, ob sie sich mit ihrem jetzigen Wissen trotzdem für einen Auslandsaufenthalt entschieden hätten, antworten sie: «Auf jeden Fall!»
Die Stiftung Ökumenisches Lernen der braunschweigischen Landeskirche hat seit ihrer Gründung 1996 knapp 100 jungen Menschen einen längeren Auslandsaufenthalt ermöglicht. Die Evangelisch-lutherische Landeskirche in Braunschweig ist die einzige deutsche Landeskirche, die ein Stipendium vergibt, um das sich Schülerinnen und Schüler der zehnten Klassen aller Schularten bewerben können. Die Förderung dauert vier Jahre und gipfelt in einem Auslandsaufenthalt von bis zu einem Jahr.
Björn Schlüter (epd)
Internet: www.oekumenisches-lernen.de