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Frankfurt a.M./Hannover/Düsseldorf (epd). Fernsehpfarrer Jürgen Fliege wirft den Kirchen in Deutschland vor, zu wenig die Gefühle der Menschen anzusprechen. «Viele Kirchenleute sind in Sachen Seele schlicht inkompetent», sagte Fliege der «Frankfurter Rundschau» (Donnerstagsausgabe). Die Kirchen würden an Buchstaben kleben, statt sich für das Leben selbst zu interessieren. Vertreter der hannoverschen und der rheinischen Landeskirche wiesen die Kritik zurück und betonten die gute seelsorgerliche Ausbildung kirchlicher Mitarbeiter.

   Nach Einschätzung Flieges profilieren sich die Kirchen mit ihrem Eintreten für soziale Gerechtigkeit als «Agentur, die sich irgendwo zwischen ver.di, Grünen und SPD ansiedelt». Aber Religion habe nichts mit Gerechtigkeit zu tun, sondern sei eine Antwort auf die Wechselfälle des Lebens. «Deine Mutter stirbt, und du bist traurig.
Dein Vater stirbt, und du bist wütend. Mit diesen Gefühlen müssen wir fertig werden. Aber genau da versagen die Kirchen», sagte der 62-Jährige, der zunächst als Gemeindepfarrer arbeitete und in den 90er Jahren mit einer Talkshow in der ARD bekannt wurde. Derzeit produziert er Fliege TV, das im Internet zu sehen ist.

   Der Geistliche Vizepräsident des hannoverschen Landeskirchenamtes, Arend de Vries, nannte im Widerspruch zu Fliege die Seelsorge die «Kernkompetenz der Kirchen». Er verwies auf spezielle Ausbildungen für die Arbeit in der Notfall- und Krankenhausseelsorge sowie in Palliativstationen und Hospizen, bei denen Seelsorge auch ganz praktisch vermittelt und eingeübt werde.

   Die Seelsorge lebe von den persönlichen Gesprächen mit Menschen und ihrer verlässlichen Begleitung in allen Wechselfällen des Lebens:
«Diese persönliche Beziehung kann nicht durch das Fernsehen ersetzt werden», sagte de Vries dem epd. Fliege hatte gesagt, er mache die Erfahrung, dass der Zuschauer ihm vertraue, weil er als Moderator keine Scheu vor den großen Gefühlen zeige. Für die großen Kirchen sehe er keine Zukunft.

   Der Pressesprecher der rheinischen Kirche, Jens Peter Iven, sagte dem epd in Düsseldorf, Fliege verbreite wider besseres Wissen «Klischees von vorgestern». Auch in Sachen Lebendigkeit und Sinnlichkeit im Gottesdienst seien viele Gemeinden weiter, als der aus dem Rheinland stammende Theologe behaupte.

   Iven wies zudem Flieges Vorwurf zurück, die Kirchen würden sich nicht zu ihrer Vergangenheit im Nationalsozialismus bekennen. Gerade die rheinische Kirche habe die Geschichte der Zwangsarbeiter in eigenen Einrichtungen und Gemeinden aufgearbeitet und daraus ein langjähriges Versöhnungsprogramm entwickelt, unterstrich Iven.