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Göttingen/Berlin (epd). Der Göttinger Kirchenhistoriker Thomas Kaufmann hält eine Vorbildrolle von Martin Luther in der heutigen Zeit für abwegig. Luthers Wirkung verdanke sich historischen Umständen, «die sich grundsätzlich von unseren unterscheiden», sagte Kaufmann dem Berliner «Tagesspiegel» (Montag). Er könne aber Anreger sein, etwa als Sprachmeister oder als Ausleger biblischer Traditionen.

«Man kann bei ihm viel über die Variationsbreite sprachlicher Ausdrucksmöglichkeiten lernen», sagte Kaufmann. Luther habe bis zu seinem Tod ein genaues Ohr dafür besessen, wie sich die Leute ausdrückten. «Er hat die Menschen erreicht, weil er ihre Sprache sprach», sagte der Wissenschaftler von der Universität Göttingen.

Luther habe eine große Sensibilität für Stimmungen in der Bevölkerung besessen «und sie in der Frühzeit der Reformation auch agitatorisch auf seine Mühlen gelenkt». Schon in den 95 Thesen greife er im Grunde «Wirtshausgespräche» auf.

Die Bezeichnung Luthers als «Wutbürger» durch das Nachrichtenmagazin «Der Spiegel» sei aber ärgerlich. Sie rücke den Reformator in die Nähe von Pegida, kritisierte der Historiker: «Das hat er nicht verdient.»

Die evangelische Kirche feiert bis Oktober dieses Jahres 500 Jahre Reformation. Am 31. Oktober 1517 hatte Martin Luther (1483-1546) seine 95 Thesen gegen die Missstände der Kirche seiner Zeit veröffentlicht. Der legendäre Thesenanschlag gilt als Ausgangspunkt der weltweiten Reformation, die die Spaltung in evangelische und katholische Kirche zur Folge hatte.