Bremen (epd). Europa muss dem italienischen Kriminologen Andrea Di Nicola zufolge koordiniert gegen Menschenschmuggel vorgehen. «Die EU braucht dringend eine Vision für eine einheitliche und humane Migrationspolitik», sagte der 41-jährige Autor eines Buchs über das internationale Menschenschmugglermilieu dem Bremer «Kurier am Sonntag». «Derzeit sieht sie nur die Spitze des Eisberges und bekämpft Symptome.»
Mit einer immer stärkeren Absicherung der Grenzen fördere die EU zudem die Nachfrage nach Schleuserdiensten, mahnte der Experte. Die Schleuseraktionen bestünden oft aus einem größeren Netzwerk. «Man kann sich das vorstellen wie eine große, kriminelle Reiseagentur.» In manchen Netzwerken seien bis zu 60 Menschen tätig, die beeindruckend gut strukturiert und organisiert seien und schnell und flexibel auf geänderte Umstände reagierten.
Problematisch sei, dass Europa meistens nicht die großen Bosse sondern nur die «kleinen Fische» dingfest mache, sagte der in Trient lehrende Kriminologe. Leute wie die Steuermänner seien oft jedoch nur das letzte unbedeutende Glied in der Kette des Schleusernetzwerks.
Eine Lösung sehe er darin, in Tunesien oder der Türkei sichere Lager zu errichten, wo die Flüchtlinge bereits Asyl beantragen könnten, sagte der Kriminologe. «So brauchen sie für die gefährliche Mittelmeer-Reise keine Schleuser, ein Teil ihrer Geschäftsgrundlage wäre weg.» Derzeit seien selbst jene Flüchtlinge auf kriminelle Schmuggler angewiesen, die vor Kriegen fliehen und Recht auf politisches Asyl in Europa haben.
Die Schleuser seien Di Nicola zufolge clevere Typen und gute Geschäftsmänner, die ein überraschend positives Bild von sich haben. «Sie sehen sich als Wohltäter, manche sogar als Art Heilige.» Die Flüchtlinge seien oft ähnlicher Meinung, weil sich in ihren Augen niemand außer ihnen um ihre Probleme kümmere. Das Risiko zu sterben, nähmen sie in Kauf.
Generell gelte, je billiger die Reise, desto größer das Risiko, warnte Di Nicola. Eine neue extrem riskante Methode sei, die Flüchtlinge in Frachtschiffen von der Türkei ans europäische Festland zu bringen. Dabei seien die Schiffe ohne Steuermann, denn Schlepper würden diese auf Autopilot stellen und zu einem anderen Boot zurückkehren.