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Die Angst vor einem Corona-Ausbruch im Pflegeheim ist groß. Doch Rechte der Bewohner dürfen nicht verletzt werden, mahnen Patientenschützer. Teils sei ohne Grundlage Quarantäne angeordnet worden.


Hannover/Bremen/Bonn (epd). In der Corona-Krise haben nach Angaben des Landessozialministeriums auch in Niedersachsen vereinzelt Pflegeheime ohne ausreichende Grundlage Bewohner in Quarantäne genommen. «Solche Fälle hat es zu einem früheren Zeitpunkt der Pandemie gegeben», sagte die stellvertretende Pressesprecherin Stefanie Geisler am Dienstag auf epd-Anfrage. «Wir hatten Einrichtungen in vereinzelten Fällen darauf hingewiesen, dass es damals nur eine Empfehlung gab, Ausgänge zu vermeiden. Eine Ausgangssperre gab es nie.»


Die Bundesinteressenvertretung für alte und pflegebetroffene Menschen (BIVA) in Bonn hatte von Fällen unberechtigter Quarantäne in Deutschland berichtet und scharfe Kritik geübt. Auch nach Kenntnis des Bremer Patientenschützers Reinhard Leopold ist es vorgekommen, dass Bewohner von Heimen unter Quarantäne gestellt wurden, nachdem sie von einem Familienbesuch oder einem Spaziergang zurück in die Einrichtung kehrten. Der Vorsitzende der BIVA, Manfred Stegger, sagte dazu: «Es kommt sogar vor, dass Bewohnern vorab damit gedroht wird. Dieses Vorgehen halten wir eindeutig für gesetzeswidrig.»


Quarantäne-Maßnahmen könnten auf Basis des Infektionsschutzgesetzes vom Gesundheitsamt verhängt werden, sagte auch Geisler. Eine Pflegeeinrichtung selbst könne und dürfe sie nicht verhängen. In Niedersachsen habe das Ministerium sämtliche Einrichtungen wiederholt darauf hingewiesen, «dass den Bewohnerinnen und Bewohnern sowohl Besuche als auch Ausgänge zu ermöglichen sind, sofern es in der Einrichtung kein Ausbruchsgeschehen gibt».


Um Besuche zu ermöglichen, müssten die Einrichtungen Hygienekonzepte vorlegen, erläuterte sie. Das gelte auch für Ausgänge der Bewohner, für die es etwa Bestimmungen zu erforderlichen Abständen geben könne. «Ein Corona-Test nach Rückkehr ist nicht automatisch vorgeschrieben.» Die Abstandswahrung nach einem Angehörigenbesuch sei jedoch weiterhin sinnvoll.


Die Patientenschützer warnten davor, die Bewohner von Alten- und Pflegeheimen noch einmal wie zum Beginn der Corona-Pandemie sozial zu isolieren. «Die Verweildauer in den Heimen beträgt nur rund anderthalb Jahre. Das ist die allerletzte Lebensphase. Da sind soziale Kontakte unentbehrlich», sagte Leopold. Der Bremer hat die Selbsthilfe-Initiative «Heim-Mitwirkung» gegründet und ist als Regionalbeauftragter für die BIVA tätig.


Die BIVA vertritt laut Pressesprecher David Kröll seit 1974 bundesweit die Interessen von Pflegebedürftigen. Dabei habe sie aktuell im Vergleich zum Vorjahr rund doppelt so viele Anfragen zu bearbeiten. «Statt etwa 300 sind es nun im Monatsdurchschnitt 600. Die Krise wirkt wie ein Brennglas auf bereits bestehende Probleme.»


Fast alle Beschwerden zielten auf die reduzierten Besuchsmöglichkeiten. Auswirkungen gebe es dabei nicht nur in sozialer Hinsicht. «Viele Menschen verkennen, wie viel Angehörige in den Einrichtungen leisten», sagte Kröll. Es gehe nicht nur um den Sonntagsbesuch bei der Oma, sondern um Unterstützung der ohnehin überlasteten Pflegekräfte. «Angehörige helfen tagtäglich mit, etwa bei der Nahrungsaufnahme oder beim ausreichenden Trinken, was viel Zeit in Anspruch nimmt.»


Kritik übten Leopold und Kröll auch daran, dass die regelmäßigen Qualitätsprüfungen der Heime weiter ausgesetzt sind. Der Medizinische Dienst der Krankenversicherung (MDK) hat seine Überprüfungen bis September 2020 eingestellt. Das gleiche gilt, nach Angaben von Leopold, in Bremen auch für die Heimaufsicht. «Es ist irritierend, dass man nicht einmal darüber nachdenkt, die Prüfungen wieder aufzunehmen, obwohl es in allen anderen Bereichen zu Lockerungen kommt», findet Kröll. «Durch die Abschottung der Heime fehlt es an sozialer Kontrolle.»