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Zwölf Nächte voller Mythen, Rituale und stiller Einkehr: Die Raunächte gelten als besondere Zeit «zwischen den Jahren». Was hinter dem alten Brauch steckt und wie er helfen kann, dem neuen Jahr bewusst zu begegnen.

Bremen/Denkingen (epd). Die zwölf dunklen Nächte zwischen Weihnachten und Dreikönig sind voller Geschichten und Rituale. «Sie heißen Raunächte und laden ein, das Tempo aus dem Leben zu nehmen und sich auf wesentliche Dinge zu besinnen», sagt die Bremer Pastorin Sabine Kurth. Die Tage «zwischen den Jahren» erleben sie und ihre Kollegin Jeannette Querfurth als Einladung, sich auf den Jahreswechsel und das neue Jahr vorzubereiten. Die Psychologin und Autorin Tanja Köhler aus Denkingen an der Schwäbischen Alb nennt das ein «Rendezvous mit mir selbst». Hintergründe und Chancen einer geheimnisvollen Zeit:

Die Tage, die je nach Region am 21. oder 25. Dezember beginnen, werden meist als Raunächte bezeichnet, nach alter Rechtschreibung Rauhnächte. Es gibt aber auch Begriffe wie Rauchnächte oder Glöckelnächte. «Die einen sehen den Ursprung tatsächlich in der Abwehr von Unheil und glauben, dass sich das Wort vom Räuchern mit Weihrauch ableitet», schreibt Tanja Köhler in ihrem Buch zum Thema. Weihrauch, mit dem Haus und Stall ausgeräuchert wurde, galt als probates Mittel gegen Dämonen. Aber auch haarige Gestalten - das mittelhochdeutsche «rûch» steht für haarig - und das «rauen», das Heulen des Wintersturmes, könnten Ursprünge sein.

«Bei den Raunächten mischen sich munter heidnisches Brauchtum und christliche Tradition», sagt Jeannette Querfurth, langjährige Rundfunkpastorin der Bremischen Evangelischen Kirche. «Im germanischen Glauben fuhr das wilde Heer Odins in diesen Nächten durch die Lüfte. Und Berchta - im Märchen heißt sie Frau Holle - zieht der Sage nach in dieser Zeit umher. Im Christentum wurden an diesen Tagen Haus und Hof gesegnet.»

Sabine Kurth bekam von ihrer Mutter schon früh eine Warnung mit auf den Weg, die wohl noch viele Ältere kennen: «Zwischen den Jahren wird keine Wäsche gewaschen und draußen aufgehängt. Denn in der Kleidung könnten sich ja Dämonen der Raunacht verfangen und dann ins Haus kommen.» Vorsichtshalber, meint sie mit einem Lachen, macht sie das bis heute nicht - wenn es sich irgendwie vermeiden lässt.

Außerdem gilt: Nägel und Haare sollten in dieser Zeit nicht geschnitten werden, weil sonst Gicht und Kopfschmerz drohen. Und auch, wer Ordnung hält, schützt sich und seine Lieben, denn Geister mögen das Chaos. Obendrein sollte in der Dunkelheit das Haus nicht verlassen werden, weil man draußen von Dämonen angegriffen werden könnte.

Zu den bekanntesten und ältesten Ritualen dieser Zeit gehören die 13 Wünsche, erklärt Sabine Kurth. «Vor den Raunächten nehme ich mir Zeit für mich, überlege mir 13 Wünsche für das neue Jahr, die mir persönlich wichtig sind, was für mich dran ist. Jeden Wunsch schreibe ich auf einen separaten Zettel. Die werden gefaltet und so in ein Gefäß gesteckt, dass ich nicht sehen kann, was draufsteht. Dann ziehe ich in jeder Raunacht einen Wunsch und verbrenne ihn, ohne zu schauen, was draufsteht - und übergebe den Wunsch damit Gott. Ein Zettel bleibt übrig, der 13. Wunsch. Den lese ich, für die Erfüllung bin ich selbst zuständig.»

Sabine Kurth lädt nicht nur mit diesem Ritual dazu ein, die Zeit der Raunächte bewusst zu erleben und zu gestalten. Wer sich bei ihr unter sabine.kurth@kirche-bremen.de anmeldet, bekommt jeden Vormittag eine Nachricht von ihr mit Anregungen und Impulsen für den Tag. So könne man Kraft und Zuversicht für das neue Jahr tanken, meint die Pastorin.

«Viele Menschen nutzen die Raunacht-Abende, um in stillen Stunden das vergangene Jahr ganz persönlich Revue passieren zu lassen», hat Jeannette Querfurth erfahren. Es sei eine gute Zeit, um sich ganz entspannt zu überlegen, «was man gerade jetzt im Leben verändern oder neu anfangen könnte». Sogar Gott habe einen guten Vorsatz gefasst, erinnert die Theologin und blickt auf das Ende der biblischen Geschichte von Noah und der zerstörerischen Sintflut, wo es heißt: «Ich will hinfort nicht mehr die Erde verfluchen um der Menschen willen.» Querfurth: «Eine göttliche Selbstverpflichtung, die er nie mehr gebrochen hat.»

Auch für die Psychologin Tanja Köhler, die unter dem Titel «Rauhnächte - 12 Tage nur für Dich» einen Bestseller geschrieben hat, kommt es vor allem auf die Innenschau an. «Es geht um die Klärung dessen, was mir wichtig ist, wie ich mein Leben gestalten möchte.» Die eigentliche Magie zwischen den Jahren liege deshalb «in uns selbst».