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Hannover/Berlin (epd). Nach Bekanntwerden des großen Ausmaßes sexualisierter Gewalt gegen Kinder und Jugendliche auch in der evangelischen Kirche werden Rufe nach mehr staatlichem Einfluss auf die Aufarbeitung laut. «Eine staatliche Instanz kann helfen, allgemeinverbindliche Regeln und Standards zu setzen, an die sich die aufarbeitenden Institutionen halten müssen und deren Einhaltung überprüft werden kann», sagte der Bundestagsabgeordnete Thomas Rachel (CDU) am Freitag dem Evangelischen Pressedienst (epd). Die unabhängige Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung, Kerstin Claus, forderte ein Recht der Betroffenen auf Aufarbeitung. Forderungen nach «Druck von außen» kommen auch aus der Institution selbst.

 

 

 

Der Präsident der Diakonie Deutschland, Rüdiger Schuch, sagte dem epd, er werde sich dafür einsetzen, dass das angekündigte staatliche Aufarbeitungsgesetz bald komme. Auch er sprach von einem Rechtsanspruch der Betroffenen auf Aufarbeitung.

 

 

 

Die Sprecherin der kirchlichen Beauftragten im Beteiligungsforum der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Dorothee Wüst, forderte einheitliche Standards bei der Aufarbeitung von sexualisierter Gewalt innerhalb der evangelischen Kirche. «Es darf keine Rolle spielen für eine betroffene Person, ob sie aus Bayern stammt oder aus der Nordkirche», sagte sie am Freitag in Hannover zum Abschluss eines Fachtags des Forschungsverbunds zur Aufarbeitung von sexualisierter Gewalt und anderen Missbrauchsformen in der Evangelischen Kirche und Diakonie in Deutschland (ForuM).

 

 

 

Der von der EKD beauftragte Forschungsverbund hatte am Donnerstag seine Erkenntnisse über sexualisierte Gewalt in der evangelischen Kirche und Diakonie vorgestellt. Demnach ist das Ausmaß von Missbrauch in der evangelischen Kirche größer als bislang angenommen. Für den Zeitraum von 1946 bis 2020 wurden mindestens 2.225 Betroffene und 1.259 mutmaßlichen Täter ermittelt, wobei aber längst nicht alle relevanten Akten eingesehen wurden und die Zahl deswegen wahrscheinlich deutlich höher liegt. Die Forscher hatten die Landeskirchen und diakonischen Verbände für mangelnde Zuarbeit kritisiert.

 

 

 

Die ehemalige EKD-Ratsvorsitzende Margot Käßmann äußerte am Freitag im Deutschlandfunk Unverständnis darüber, dass das unabhängige Forscherteam nicht flächendeckend alle Personalakten der 20 Landeskirchen untersuchen konnte. «Meines Erachtens muss das nachgeholt werden», sagte die frühere hannoversche Landesbischöfin.

 

 

 

Die Missbrauchsbeauftragte Claus sagte der «tageszeitung» (taz, Freitag): «Es muss klar sein, dass Aufarbeitung ein grundlegendes Recht von Betroffenen ist und dass die individuelle Position von Betroffenen in solchen Prozessen gestärkt wird.» Sie wies auch nochmals darauf hin, dass die Ampel-Koalition versprochen habe, ihre Stelle gesetzlich zu verankern und Aufarbeitung zu stärken.

 

 

 

Rachel, der auch dem Rat der EKD angehört, verwies in dem Zusammenhang auf die bei Claus angesiedelte Unabhängige Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Missbrauchs. Deren Stärkung könne dazu beitragen, verbindlich Maßstäbe zur Aufarbeitung und Prävention für die verschiedenen Institutionen zu verankern, sagte der Sprecher für Kirchen und Religionsgemeinschaften der Unionsbundestagsfraktion.

 

 

 

Der bayerische Landesbischof Christian Kopp wies die Kritik der Wissenschaftler zurück. Die Kritik habe ihn «überrascht», sagte er dem epd. «Wir reden für die bayerische Landeskirche von einer mindestens hohen sechsstelligen Zahl bei den Personalakten. Das hätten wir im Erhebungszeitraum der ForuM-Studie schlichtweg nicht umsetzen können», sagte er. Kopp kündigte aber an, man werde sich die Personalakten «noch genau ansehen».

 

 

 

Auch andere Landeskirchen kündigten weitere Aufklärung an. Der Berliner Bischof Christian Stäblein sagte dem RBB, die Ergebnisse der jüngsten Studie könnten nur ein erster Schritt sein. Der rheinische Präses Thorsten Latzel verwies in der «Kölnischen Rundschau» (Freitag) auf geplante Einzelstudien sowie eine regionale Aufarbeitungsstudie. In einer gemeinsamen Erklärung mit Claus hatte sich die evangelische Kirche zu weiteren Aufarbeitungsschritten verpflichtet. Die Landeskirchen wollen dabei in neun regionalen Verbünden zusammenarbeiten. «Das ganze Thema der sexualisierten Gewalt ist ein Marathon, kein Sprint», erklärte der Braunschweiger Bischof Christoph Meyns.